Einar
Mar Gudmundsson
"Fußspuren am Himmel"
Aus dem Isländischen von Angelika
Gundlach
Carl Hanser Verlag München 2001
250 Seiten, 17,90 €
Dass die isländische Literatur eine jahrhundertealte Tradition besitzt,
belegen eindrucksvoll Zeugnisse wie die Sagas, Prosaerzählungen
über Norwegerkönige und Heldengestalten aus Island oder Skandinavien,
und die Edda, eine Sammlung von Liedern und Prosa. Der moderne
isländische Roman hingegen wendet sich eher realistisch-detailgetreuen
Beschreibungen des Alltagslebens der Insel zu und dient entweder der
psychologischen Selbsterkenntnis oder schildert akribisch das bäuerliche
Leben. Zu den weit über die Landesgrenzen bekannten literarischen
Vertretern dürfte Hallodor Laxness zählen, dem 1955 der
Literatur-Nobelpreis verliehen wurde.
Auch jüngere Autoren, wie Einar Mar Gudmundsson, beziehen ihre Anregungen
aus der realen Lebenswelt. Dies belegen eindrucksvoll seine, auch ins
Deutsche übertragenen, Romane "Die Ritter der runden Treppe" (btb
1999) und "Engel des Universums" (Hanser 1998, btb 2000). Mit
seinem jüngst im Hanser Verlag veröffentlichten Roman "Fußspuren
am Himmel" wendet sich Gudmundsson der eigenen Familiengeschichte zu,
die exemplarisch für das Schicksal vieler isländischer Familien steht.
Getrieben von Hunger und Armut sind die Großeltern
gezwungen, die
ländlichen Siedlung zu verlassen, um in der Stadt ein neues Zuhause zu
finden. Doch entgegen ihrer Erwartung, die Lebenssituation für sie und
ihre Kinder würde sich bessern, ereilte sie das Schicksal bitteren
Elends.
Gudmundsson erzählt von skrupellosen Maklern, die das Schicksal dieser
Familien schändlich ausnutzen und ihnen gegen ein hohe Miete Unterschlupf
in feuchten Kellern gewähren. Einzig den Ratten, die über die Fußböden
huschen, scheint dies eine akzeptable Lebensform.
Bewundernswert ist der Lebensmut der Großmutter Guðny, die gemäß dem
Motto "Man braucht immer weniger, als einem fehlt", auch dann
dem Leben noch etwas Positives abgewinnt, wenn die Armut am größten ist.
Von der Jugendfürsorge angeordnet, werden die Kinder auf verschiedene
Pflegefamilien im Land verteilt. Ihr Mann Ólafur, der Großvater des
Erzählers, arbeitet als Seemann auf einem Fischkutter. Doch der ist er
Familie keine Stütze, denn er versäuft sein mühevoll verdientes Geld.
Zugegeben, der Roman ist ob der vielen Personen, die den Weg der Familie
Gudmundsson säumen, etwas kompliziert zu lesen, doch hat der Autor an den
Anfang des Buches einen Stammbaum gestellt, der die notwendige
Orientierung verschafft. Unbestritten ist Einar Mar Gudmundsson eine
beachtenswerter isländischer Autor, den es vor allem für die
deutschsprachigen Leser noch zu entdecken gilt.
Übrigens ist "Fußspuren am Himmel" in Island das
meistverkaufteste Buch der vergangenen zehn Jahre. ©Torsten
Seewitz, 20.09.2001