Sebastian
Haffner
"Geschichte eines Deutschen.
Die Erinnerungen 1914 - 1933"
Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 2000
239 Seiten, 19,90 Euro
Die Bücher über die Zeit des Nationalsozialismus in
Deutschland, seien es persönliche Erinnerungen oder
Auseinandersetzungen auf wissenschaftlicher Basis, füllen
mittlerweile zahlreiche Regalmeter. Die unbestritten
brillantesten Beiträge zur Aufarbeitung dieses deutschen
Traumas schrieb der Journalist Sebastian Haffner mit Büchern
wie "Anmerkungen zu Hitler", "Von Bismarck zu
Hitler" und "Jekyll & Hyde". Es ist ein Glücksfall
für die Geschichtsschreibung zu nennen, dass nunmehr die
Deutsche Verlagsanstalt das bislang unveröffentlichte Frühwerk
Haffners, die "Geschichte eines Deutschen" im Herbst
vergangenen Jahres editierte und unerwartet einen Bestseller
platzierte.
Sebastian
Haffner schrieb seine Erinnerungen vermutlich 1939, bereits in
der Sicherheit des englischen Exils. Zwar waren sie noch ins
Englische übersetzt, aber in Folge nicht veröffentlicht
worden. Über die Gründe mag man spekulieren, sicher ist
jedoch, dass Haffners Erinnerungen, ihn bereits als einen
genauen und wortgewandten Chronisten seiner Zeit zeigen. Mit
analytischen Verstand versucht er, den Nährboden für das
aufkeimende nationalsozialistischen Gedankengut zu erklären,
und dies beginnt nach seiner Ansicht nicht erst in den
chaotischen Zwanzigern, sondern bereits 1914 mit dem Beginn des
1. Weltkriegs.
Es waren weniger die Kriegsveteranen, die einen neuen Führer
herbeisehnten, sondern die Generation der um 1900 Geborenen,
jener Generation, die den 1. Weltkrieg als Heranwachsende
erlebten.
Neben diesen Erkenntnissen erwartet den Leser eine zwar sehr
individuell geprägte Sicht eines Zeitgenossen, doch vertraut
Haffner auf die Allgemeingültigkeit seiner Beobachtungen und
Schlussfolgerungen. Wie recht er mit seiner Bewertung der
politischen Ereignisse und den Folgen für die deutschen Innen-
und Außenpolitik hatte, fand er mit dem Machtantritt Hitlers
1933 bestätigt.
Sebastian Haffner gelingt es vortrefflich, historische Zusammenhänge
plausibel zu erklären. Vor allem seine Anmerkungen zu den
innenpolitischen Wirren nach dem Ende des 1. Weltkrieges, wie
z.B. das Chaos der Räterepublik, die Gründe für die Ermordung
von Walther Rathenaus als Zeichen für den fortschreitenden
Antisemitismus oder noch viel interessanter, die Uneinigkeit der
deutschen Sozialdemokratie im Widerstand gegen den aufstrebenden
Nationalsozialismus.
Haffner begreift sich als scharfsinniger Zeitzeuge, der die
eigene Ohnmacht gegenüber dem Naziregime nicht verleugnet.
Besonders deutlich wird es an den menschlich bewegenden Stellen
des Buches, in denen Abschied von seinen jüdischen Freunden
nehmen muss, die allein wegen ihres Glaubens verfolgt und
vertrieben wurden.
Es ist dieser realistische, uneingeschränkt ehrliche Blick, der
den Leser über die einzelnen Kapitel hinweg in seinen Bann
zieht. Hier spricht jemand, der versucht, das drohende Unheil
und die Blindheit der Massen zu verstehen. Einzig in den
Beschreibungen der Bluttaten der SA-Schergen und des
selbsternannten "Führers" weicht der sonst eher
sachliche Ton einem durchdringenden Zynismus voller Abscheu und
Ekel.
Die "Geschichte eines Deutschen" steht exemplarisch für
das Erleben von Tausenden, die das Unfassbare nicht aussprechen
konnten. Die Alternative zwischen Anpassung oder Widerstand
beantwortet Sebastian Haffner 1938 klugerweise mit der Flucht
ins britische Exil, für ihn die einzige Chance zum Überleben.
Gäbe es einen Lesekanon für den Geschichtsunterricht an
Schulen, sollten Sebastian Haffners Bücher auf jeden Fall
dazugehören.© Torsten Seewitz, 17.07.2001