Maarten 't Hart
"Die Sonnenuhr oder Das geheime Leben meiner Freundin Roos "
Aus dem Niederländischen von Marianne Holberg
Arche Verlag Hamburg Zürich 2003
328 S.; 19,90 Euro
Als ihre Freundin Roos vollkommen unerwartet
kurz vor ihrem dreiundvierzigsten Geburtstag an einem Sonnenstich starb, war
Leonie Kuypers einzige Sorge, welches Kleid sie zur Beerdigung anziehen sollte.
Man mag solche Reaktionen auf den Tod eines nahestehenden Menschen als
irrational bezeichnen, doch kann man es auch als eine Art
Verdrängungsmechanismus verstehen, sich in Zeiten größter seelischer Not mit
eben diesen Nebensächlichkeiten zu beschäftigen. Leonie und Roos standen sich
sehr nahe, ähnlich unzertrennlichen Zwillingsschwestern - Roos, der
geheimnisvolle Vamp und Leonie als stilles Mauerblümchen. Ergänzt haben sie
sich perfekt.
Als Leonie vom Notar ihrer verstorbenen Freundin erfuhr, dass sie zur
Alleinerbin unter der Bedingung ernannt wurde, sich um die drei Katzen Tijg,
Ober und Lellebel zu kümmern und sie zu diesem Zweck in das
Eigentumsappartement einziehen sollte, nährten sich in Leonie Zweifel, wo Roos
all das viele Geld her hatte, um sich diesen Luxus leisten zu können. Hat sie
vielleicht mit Drogen gedealt oder sich sogar gegen Bares an Männer verkauft?
Soviel stand für Leonie jedenfalls fest, dass es sich bei dem angeblichen
Sonnenstich um keinen Unfall handeln konnte. Doch würde ein Mord, wie auch
immer motiviert, schwer nachzuweisen sein.
Es dauerte nicht lange, bis sich Personen aus Roos Lebensumfeld einfanden, die
ebenfalls nicht an einen Unfall glauben wollten. So zum Beispiel Freek, der mit
ihr regelmäßig in einem dubiosen Club verkehrte oder der alte Mastenbroek, ein
Spanner, der Roos seit Jahren heimlich bei ihren Sonnenbädern am Strand gefilmt
hatte. Und wieso reagierten alle so gereizt, wenn sie versuchte, sich wie Roos
zu geben? Deren Notar meinte, dass es für die Katzen nur gut sein kann, wenn
sie sich wie ihre Freundin schminkte und kleidete. Sie würden sie dann weniger
vermissen. Den Katzen schien das Verkleidungszeremoniell jedoch egal zu sein,
vielmehr sorgte sie bei ehemaligen Kollegen für Verwirrung. Doch weshalb
reagierten diese so gereizt?
Nach "Das Wüten der ganzen Welt" begibt sich Maarten 't Hart wieder
in die Welt des Kriminalromans, jedoch nicht mit den Augen eines Kindes
betrachtet, sondern aus der Sicht einer Frau geschrieben. Kein gewiefter
Kommissar ermittelt hier in einem möglichen Mordfall, sondern Leonie Kuyper,
vom Beruf Übersetzerin und Aushilfslehrerin für Französisch. Entgegen aller
Vorurteile, die man gegen solchen Rollentausch hegen kann, beeindruckt es um so
mehr, wie lebendig und kenntnisreich der Autor die Welt mit der Augen einer Frau
betrachten kann.
Wie in seinen früheren Büchern gelingt es dem Autor vortrefflich, den Leser
wieder mit in eine Welt hineinzunehmen, in der aller äußerer Schein trügt und
sich hinter den Masken der Menschen Abgründe auftun. Es ist dieser typische
"'t Hart-Sound", der seine Romane, und vor allem "Die
Sonnenuhr" unverwechselbar macht, diese Mischung aus ironischer
Betrachtungsweise und melancholischen Anklängen gepaart mit einer Vielzahl von
Sentenzen aus Literatur und Musik.
Wer die anderen Bücher des Autors mochte, wird auch seinem aktuellen Roman
gewiss einen Ehrenplatz im Büchereregal zukommen lassen.