Kerstin
Hensel
"Zonenkinder"
Rowohlt Verlag
Reinbek 2002
174 S., 14,90 Euro
Das für die deutsche Geschichte so
bedeutende Jahr 1989 liegt bereits einige Zeit zurück. Lange ist es her, werden
einige sagen; andere wiederum erinnern diese Zeit des Umbruchs, als wäre sie
gestern gewesen. So verschieden wie die Menschen, die in beiden deutschen
Staaten lebten, so verschieden sind deren Erinnerungen an das Ende der DDR und
die nun vor ihnen liegende Freiheit, was immer der einzelne darunter verstanden
haben mag.
Unter diesem Gesichtspunkt, den der individuellen Erinnerungsarbeit, muss auch
das vorliegende Buch von Jana Hensel gelesen werden. Die Generation der
"Zonenkinder", die in beiden deutschen Welten ihre Kindheit und Jugend
erleben durfte (musste), ist mittlerweile in der neuen Zeit angekommen. Es
gelingt Jana Hensel auf sehr unterhaltsame Weise, die Balance zwischen dem
eigenen Erlebten und dem bereits in das Reich der Geschichtsschreibung
eingegangenen Faktenwissen zu halten, ohne die Zeit der DDR zu verklären oder
aus rein kindlicher Erlebensperspektive zu beschreiben.
Über viele Details muss man beim Lesen schmunzeln, schien doch vieles bereits
vergessen. Wer erinnert sich noch an die verschiedenen Aktivitäten als Jung-
und später als Thälmannpionier, die regelmäßig stattfindenden Fahnenappelle
auf dem Schulhof und die wöchentlichen Pioniernachmittage? Wer sammelt heute
noch "Sekundärrohstoffe" oder Futter für Jolante? Wer weiß noch,
was sich hinter dem Wort "Timurhilfe" versteckt?
Neben dieser wichtigen Erinnerungsarbeit, liefert Jana Hensel mit ihrem Buch
auch eine interessante Studie über Freizeit- und Markenverhalten in Ost und
West, denn auch "Zonenkinder" haben zum Beispiel in den 1980er Jahren
begeistert "Wetten dass" gesehen, sofern sie nicht im "Tal der
Ahnungslosen" (dem heutigen Sachsen) wohnten und weder ARD noch ZDF
empfangen konnten.
Ähnlichkeiten mit der "Generation Golf", die Florian Illies im Jahr
2000 beschrieb, sind nicht zu leugnen. Jedoch mit dem Unterschied, dass eine
Kindheit in der DDR ideologisch stärker im Sinne einer Indoktrination
beeinflusst war.
Es ist schwierig, im nachhinein darüber richten zu wollen, ob eine Kindheit
oder Jugend in der DDR unglücklich war. Zu verschieden sind die individuellen
Erlebnisse und Berührungspunkte mit dem sozialistischen Systems gewesen.
Dennoch ist allen Vertretern der sogenannten " Wendegeneration", also
diejenigen, die zum Zeitpunkt der Wende im jugendlichen Alter waren, gemein,
schnell und ohne große Probleme in der neuen Gesellschaftsform angekommen zu
sein.
Interessant ist zu erfahren, dass derjenige als Sieger zählt, der es geschafft
hat, im Westen nicht mehr als Ostdeutscher geoutet zu werden, seine Anpassung
also ein weit fortgeschrittenes Stadium erreicht hat.
Im Gegensatz zur Elterngeneration, betrachten sich die Kinder der Wende nicht
als Opfer, sondern als ein Bestandteil der neuen Gesellschaft, obgleich ein
Denken in Ost und West noch einer Generation mehr bedarf, um endgültig zu
verschwinden.
Jana Hensel beschreibt dies sehr offen und ehrlich, dennoch sollte
"Zonenkinder" unbedingt als ein ein sehr persönlicher Rückblick
auf eine Kindheit in der DDR gelesen und nicht verallgemeinert werden. So
betrachtet, findet der interessierte Leser ein sehr informatives Buch über die
Schwierigkeiten, in einem neuen Gesellschaftssystem anzukommen. Auch wenn Jana
Hensel so manches Klischee bedient, bleibt dennoch die Erkenntnis für
westdeutsche Leser zurück, ein wenig Einblick in das Leben hinter der Mauer
genommen zu haben und für die Leser im Osten Deutschlands, sich in der einen
oder anderen Episode wiedererkannt zu haben.
Bleibt zu hoffen, dass diese Einblicke in eine Zeit, die die
Geschichtsschreibung bereits zu verfälschen droht, auch für Folgegenerationen
bewahrt bleiben. ©Torsten Seewitz, 19.11.2002
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