Willem Frederik Hermans
"Die Dunkelkammer des Damokles"

Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert
Gustav Kiepenheuer Verlag Leipzig 2001
415 Seiten, € 20,00

Zu den bemerkenswertesten Neuerscheinungen des vergangenen Herbstes darf unbestritten der Roman "Die Dunkelkammer des Damokles" des niederländischen Schriftstellers Willem Frederik Hermans gezählt werden. Im Ausland nahezu unbekannt, gehört Hermans jedoch zu den bedeutendsten Autoren seiner Heimat. 
Mit seinem 1958 erschienenen Roman "Die Dunkelkammer des Damokles" begibt er sich in die Zeit der deutschen Besatzung der Niederlande.
Sein Protagonist Henri Osewoudt, dessen Mutter in einem Anflug von Wahnsinn seinen Vater erstach, wächst bei seinem Onkel Bart, einem Kurzwarenhändler, in Amsterdam auf. Sein Leben verlief, abgesehen von den nächtlichen Verführungen durch seine Cousine Ria, relativ ereignislos, so dass er 
an seinem 18. Geburtstag beschloss, Ria mehr aus Mitleid, denn aus Liebe zu heiraten und den Tabakladen seines Vaters weiterzuführen. Für ihn kein riskantes Unternehmen, bot ihm das Geschäft doch die nötige finanzielle Sicherheit. Wahrscheinlich wäre Osewoudts Alltag bis an sein Lebensende so weiter verlaufen, wenn nicht die Deutschen die Niederlande überfallen hätten. 
Eines Tages betrat ein Offizier mit Namen Dorbeck seinen Laden und gab die Entwicklung einiger Rollfilme in Auftrag. Dorbeck sah Osewoudt zum Verwechseln ähnlich, „wie das Negativ und das Positiv von einem Foto“.
Als Dorbeck wenige Tage später Henri bat, ihm einen Anzug zu leihen, da er untertauchen wolle, tat ihm dieser, noch arglos, den Gefallen. Fortan häuften sich die spontanen Besuche Dorbecks, bei denen er Osewoudt um immer neue Gefallen bat. Mehr und mehr wird Osewoudt daraufhin in die Untergrundaktivitäten  einer vermeintlichen Widerstandsbewegung verstrickt, die es sich zum Ziel gemacht hat, deutschfreundliche Niederländer aus dem Weg zu räumen. Ohne Skrupel führt Osewoudt die Aufträge aus, tötet Menschen ohne nach dem Sinn zu fragen. Im Hintergrund agiert Dorbeck, der ihn mit Aufträgen versorgt, bis dieser auf mysteriöse Weise verschwindet.
Man mag spekulieren, weshalb sich Henri Osewoudt immer tiefer in eine Spirale aus Gewalt und Tod ohne ersichtliche Gegenwehr begibt, aber vielleicht hatte er so das Gefühl, endlich seinem Leben etwas Bedeutung zu geben, endlich ein Held zu sein. 
Es gelingt Hermans vortrefflich, dieses Abgleiten in die Niederungen menschlicher Gefühlswelten darzustellen. Wie ein Sog entwickelt sich der Erzählstrom parallel zu der immer auswegloseren, albtraumähnlichen Situation seines Protagonisten.
Nach Kriegsende wird Henri Osewoudt als Landesverräter vor ein Kriegsgericht gestellt. Obgleich er beteuert, im Widerstandskampf gegen die deutschen Besatzer tätig gewesen zu sein, findet er niemanden, der seine Versionen der Ereignisse Glauben schenkt. Einzig der Offizier Dorbeck könnte seine Unschuld bezeugen, doch bleibt dieser unauffindbar.
Mit dem Roman „Die Dunkelkammer des Damokles“ hat Hermans ein Buch über die Manipulierbarkeit des Menschen vor dem Hintergrund des Krieges geschrieben, einer Zeit, in der falsches Heldentum unweigerlich zum Untergang führen muss. Übrigens ein Thema, welches Hermans in seinen Romanen wiederholt aufgegriffen hat. © Torsten Seewitz, 26.01.2002
 

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