Kristian Ditlev Jensen
"Leibspeise"
Aus dem Dänischen von Sigrid Engeler
Hoffmann und Campe Hamburg 2006
416 S.; 24,00 Euro
Der Entdeckungslust Hans
Magnus Enzensbergers und Franz Grenos sei Dank, dass der Roman „Leibspeise“
des Dänen Kristian Ditlev Jensen den Weg zu einem deutschsprachigen Verlag
gefunden hat. Denn ursprünglich sollte dieses Buch in einer neuen Edition
Enzensbergers bereits im vergangenen Jahr erscheinen. Doch die deutsche
Gerichtsbarkeit erwies sich mal wieder als „Literaturverhinderer“, indem sie
das Projekt stoppte.
Nun erschien dieser kongeniale Roman im Hamburger Verlag „Hoffmann und
Campe“ und wird hoffentlich eine zahlreiche Leserschaft finden. Denn diese
wird in Jensens Roman, sofern sie sich auf die Geschichte einlässt, eine
Sprachfeuerwerk der Sinneslust entdecken können, welches in ähnlicher Intensität
selten zu erleben ist.
Kristian Ditlev Jensen, dessen erschütterndes Erinnerungsbuch „Ich werde es
sagen“ vor zwei Jahren bei Klett-Cotta erschien, erzählt in „Leibspeise“
die Geschichte des Restaurantkritikers Robin McCoy. Es liegt in der Natur seines
Berufes, dass gerade die Sinne Riechen und Schmecken am deutlichsten ausgeprägt
sind, dienen sie ihm doch als sensible Antennen, um kulinarische Genüsse
aufzuspüren.
Seit dem Suizid seiner japanischen Ehefrau Midori stürzt er sich in ein Meer
aus Arbeit, um zu vergessen, die Trauer zu verdrängen. Von Schuldgefühlen
geplagt, versucht er ihre kranke Seele zu verstehen, wirft sich vor, versagt und
ihre Hilferufe nicht verstanden zu haben. Ruhelos begibt er sich auf ausgedehnte
Reisen quer über alle Kontinente, doch egal wohin er gerät, erinnern ihn
kleinste Begebenheiten und scheinbar belanglose Dinge an den Verlust seiner
Frau.
Jensen versteht es auf nahezu unnachahmliche Weise, dieser Suche nach Antworten
eine Sprache zu verleihen, deren Wirkung vor allem in der treffenden
Beschreibung sinnlicher Erfahrung besteht. So beschreibt er, um nur ein Beispiel
zu nennen, die mannigfaltigen geschmacklichen Nuancen einer Erdbeere (S. 23)
derart eindrücklich, dass man beim Lesen meint, tatsächlich an dieser
olfaktorischen und gustatorischen Erkundungsreise teilzunehmen.
Dieses Buch feiert ein Fest der Sinne und beweist, auch Dank der großartigen Übersetzung
durch Sigrid Engeler, welch magische Kraft geschriebenen Wörtern innewohnt.
Eine Kraft, deren soghafte Wirkung den Leser unvermeidlich in ihren Bann zieht
und ihn in eine Welt entführt, die ihm sonst verschlossen bliebe.
Torsten Seewitz, 11.09.2006