Ha Jin
"Verrückt"
Aus dem Englischen von Susanne Hornfeck
Deutscher Taschenbuch Verlag München 2004
316 S.; 15,00 Euro

Ist der Literaturprofessor Yang nach seinem Schlaganfall tatsächlich verrückt geworden? Oder haben seine Reden an ein fiktives Publikum am Krankenbett mehr wahren und ernsten Inhalt als der ihn pflegende Student Jian zuerst begreift? Indem Ha Jin, der mit seinem Debütroman „Warten“ 1999 für den Pulitzerpreis nominiert war, den jungen Studenten auf die Suche nach den Ursachen des Schlaganfalls schickt und ihn zu regelmäßigen Besuchen bei seinem zukünftigen Schwiegervater verpflichtet, legt der in den USA lebende Jin Stück für Stück das chinesische Gesellschaftssystem zu Zeiten des Umbruchs 1989 frei: Die Machtspiele innerhalb der Universität, die berechnende Karriereplanung einiger Studenten, das von Entbehrungen geprägte Beziehungsleben junger Menschen und die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Dabei ist Jins Sprache sehr schlicht und wirkt manchmal naiv, doch genau dieser oberflächliche Eindruck spiegelt die Ambiguität der Geschichte wider, in der der zum Pflegefall gewordene Professor wegen seiner angeblichen Verrücktheit mehr Rede- und Handlungsfreiheit hat, als er vorher je hätte haben können. Ein kluges Buch, das tiefe Einblicke in den Alltag gibt und die individuelle Befreiung aus ideologischen Zwängen spannend beschreibt. Text: Aliki Nassoufis

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