Daniel
Kehlmann
"Ich und Kaminski"
Suhrkamp Verlag
Frankfurt/M. 2003
174 S.; 18,90 Euro
Waren die früheren Veröffentlichungen Daniel Kehlmanns bereits von Erfolg gekrönt,
und gäbe es eine Gesetzmäßigkeit, nach der sich dieser Erfolg kontinuierlich
steigern ließe, so wäre Kehlmann ein Beleg für deren Existenz. Denn mit
„Ich und Kaminski“ ist ihm ein wunderbar leicht erzählter und ungemein
ironischer Roman über die Abgründe der ach so schillernden Künstlerwelt
gelungen.
Der Ich-Erzähler, Sebastian Zöllner, versucht sich nach seinem
Kunstgeschichtsstudium mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser zu halten. Als er
eines Tages den Auftrag erhält, eine Biographie über den Maler Kaminski zu
schreiben, denkt er, in die bislang unerreichbare Welt der Künstler vordringen
zu können. Kaminski, dessen Stern längst verloschen, wurde einst von Matisse
protegiert und mit einem Gemälde berühmt, welches die Unterschrift „Painted by a blind man“ trug.
Mittlerweile lebt er zurückgezogen in den Alpen, abgeschirmt von einem recht
zweifelhaften Freundeskreis, der die Aura des bedeutungsvollen Malers aufrecht
zu erhalten versucht.
Äußerst trickreich gelingt es Zöllner, bis in die Wohnung Kaminskis
vorzudringen. Obgleich dieser weiß, dass Zöllner seine Biographie verfassen
soll, begegnet er ihm, wie seine gesamte Equipage mit kühler Ablehnung. Doch Zöllner,
man mag es selbstbewusst nennen, ignoriert derlei Feindseligkeiten und lässt
sich nicht beirren, den großen Meister interviewen zu wollen. Er hatte mit
vielen seiner Zeitgenossen, ob Freund oder Feind gesprochen, und dachte, er
kenne Kaminski bereits ein wenig. Jedoch weit gefehlt
Nachdem der Biograph so schmählich abgewiesen wurde, gelingt es ihm tags darauf
auf abenteuerliche Weise erneut in das geheimnisvolle Reich des Malers
vorzudringen. Unter dem Vorwand, seine alte Jugendliebe aufzuspüren, schafft es
Zöllner, den blinden Mann aus dem Haus zu locken. In der Hoffung, er erhalte
somit intimere Informationen über das ereignisreiche Leben Kaminskis, begibt
sich dieses so ungleiche Paar auf eine verhängnisvolle Autoreise mit ungewissem
Ausgang.
Zöllner ist blind vor Erfolgszwang und merkt nicht, wie der alte Mann, sich in
seiner Rolle als umschwärmter Künstler gefallend, ihn zunehmend seinerseits
austrickst. Bis zu jenem Tag in einer Münchner Galerie, als Zöllner stolz
seine Begleitung, den bekannten Maler, allen Gästen präsentieren will.
Vor allem in dieser Szene entfaltet Daniel Kehlmann sein Können, mit
entlarvendem Blick hinter die Kulissen einer Welt zu schauen, in der der Schein
mehr bedeutet als das Sein. Er entfaltet vor dem inneren Auge des Lesers eine
tragikomische Szenerie, die betroffen macht und zugleich die Bestätigung jener
Klischees bedient, die gemeinhin mit der versnobten und verlogenen Scheinwelt
der Schickeria verbunden werden.
Man wünscht sich am Ende des Buches, mehr von dem Autor lesen zu wollen. Und
vielleicht müssen wir auch nicht all zu lang warten. Denn fernab jener
narzisstischen Nabelschau so manchen Jungautors hat es Daniel Kehlmann
geschafft, obwohl erst Jahrgang 1975, sich in die vordere Riege der
erfolgreichen deutschsprachigen Autoren zu schreiben. ©Torsten Seewitz,
29.04.2003