A. L. Kennedy
"Gleissendes Glück"

Aus dem Englischen von Ingo Herzke
Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2000
188 Seiten, 17,50 € (HC), 7,90 € (TB)

Das Leben als endlos langsamer Fluss, bestimmt von täglichem Einerlei zwischen Saubermachen, Kochen und Fernsehen. Die glanzvolle Zeit der Ehe ist längst vergessen, übrig blieben die brutalen Schläge des Ehemanns. Helen Brindle, Protagonistin des Romans, verzweifelt an diesem trostlosem Alltag. Wo ist der Gott geblieben, der sonst ihre Gebete erhörte? Wo blieb das gleißende Glück, welches bislang ihren Lebensweg bestimmte? 
Auf der Suche nach Antworten, trifft Helen Brindle im täglichen Fernseheinerlei auf den berühmten Psychologieprofessor Edward E. Gluck. Gebannt von dessen Aura, wird Gluck fortan zur Projektionsfläche für Helen Brindles Suche nach dem verlorenen Glück. Unter dem Vorwand, ihre kranke Schwester begleiten zu müssen, verlässt Helen ihr Zuhause in Richtung Stuttgart, wo Edward E. Gluck anlässlich eines Kongresses weilt. Entgegen ihrer sonstigen  Ängste, unternimmt sie den Versuch, mit dem erfolgreichen Psychologen zusammen zu treffen, um ihm von ihren Problemen zu erzählen. Dies gelingt ihr auch, doch entwickelt sich aus diesem vorerst harmlosen Treffen ein verhängnisvolles Bündnis.
Was vordergründig betrachtet, einer Liebensgeschichte gleicht, die unweigerlich zum Happy End führt, nutzt A. L. Kennedy meisterhaft zum Ausloten menschlicher Gefühlswelten. 
Während eines nächtlichen Telefonates gesteht Gluck Helen seine heimlichen sexuellen Obsessionen. Plötzlich wird der Therapeut zum Hilfesuchenden, und Helen versucht, nach dem sie den ersten Schreck überwunden hat, ihn von seiner Lust an perversem Sex zu heilen. Durch diesen unvorhersehbaren Rollentausch von den eigenen Problemen abgelenkt, scheint Helen den Blick für das eigene Dasein zu verlieren. Der Versuch, ihren angestammten Platz an der Seite ihres Ehemannes wieder einzunehmen, endet für sie beinahe tödlich, als dieser von der Liaison mit Gluck erfährt.
Atemlos folgt man der Erzählung Kennedys, tief in die Seelen ihrer Helden schauend und immer den vermeintlichen Abgrund im Blick. Obgleich sie an einigen Textstellen sehr gewagt von den Obsessionen Glucks erzählt, versteht sie es sprachlich meisterhaft von der ewigen Suche des Menschen nach Liebe und Anerkennung zu erzählen. Hierbei spart sie die Schattenseiten dieser Suche nicht aus, sondern vermittelt erzählend die Erkenntnis, welch schmaler Grat zwischen dem hohen Gefühl der Liebe und dem Abgrund der Gewalt liegt.  
Durch die präzise Zeichnung der Charaktere, ihrer Stärken und Schwächen nehmen Helen und Edward einen Platz an der Seite des Lesers ein, dringen tief in sein Gedächtnis, um noch lange Zeit nach der Lektüre des Romans in seiner Erinnerung fortzuleben. © Torsten Seewitz, 25.05.2001

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