Yasmina Khadra
"Wovon die Wölfe träumen"

Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe
Aufbau Verlag Berlin 2002
412 S., 20,00 Euro

Als 1991 die Islamischen Heilsfront in Algerien die Parlamentswahlen gewann, wurde sie vom Militär beherrschten Obersten Staatsrat verboten. Eine Entscheidung mit schweren Folgen für die algerische Demokratie, denn fortan versuchte die Heilsfont ihre politischen Interessen mit Terrorakten aus dem Untergrund durchzusetzen. Die Kämpfe zwischen Regime und Islamisten eskalierten und forderten bis 1999 mehr als 80000 Tote. 
Vor diesem Hintergrund entstand der Roman "Wovon die Wölfe träumen" des algerischen Schriftstellers und ehemaligen Militärs Mohammed Moulessehoul, der diesen, aus Schutz vor Repressalien, noch unter dem Pseudonym Yasmina Khadra veröffentlichte. 
Der Held seines Romans Nafa Walid steht stellvertretend für Tausende junger Männer, die die für das Ideal eines islamisch geführten Staates ihre Moral und letztendlich auch ihr Leben opferten.
Eigentlich hatte Nafa keinen Grund unglücklich zu sein, denn seinem Traum von einer Karriere als Schauspieler war er bereits ein Stück näher gekommen, als er eine, wenn auch kleine Rolle, in einem Spielfilm annahm. Doch zum Geldverdienen reichte sein Talent wohl nicht. Und so war es ein Glücksfall, als er eine Anstellung als Chauffeur in einer der reichsten Familien Algiers bekam. Nafa war zufrieden mit seiner Arbeit, bis er eines Nachts zu seinem Juniorchef gerufen und gezwungen wird, die Spuren des Todes einer Prostituierten zu beseitigen, die an einer Überdosis Heroin in dessen Bett gestorben ist. Gegen seinen Willen muss er mit ansehen, wie der Toten das Gesicht mit einem Stein zertrümmert und sie anschließend in einem Waldstück verscharrt wird. Wegen seines Protestes wird Nafa vom Fahrer des Juniorchefs halb tot geprügelt und er kann sich nur mühsam zu seinem Elternhaus zurückschleppen. Dieses Erlebnis wirkt für Nafa noch lange Zeit traumatisierend. In seinem Kummer vertraut er sich dem Muezzin der Moschee an, der ihm, nicht uneigennützig, aus seinem Tief heraushilft und ihn für die Ideal eines islamische geführten Staates begeistert, in dem zum Beispiel solch amoralisches Leben unter strenge Strafe gestellt wird. Wenig später findet sich Nafa in den Besprechungen der islamischen Untergrundkämpfer wieder. 
Anfänglich nur als Kurierfahrer für die Familie deportierter Untergrundkämpfer tätig, stellt er später über seinen ersten Mord emotionslos fest: "Ich habe meinen ersten Mann am Mittwoch, den 12. Januar 1994, morgens um 7 Uhr 35  getötet. Er war Anwalt." Endlich bekam er die Anerkennung, die er bislang vermisste und sein Leben hatte wieder ein Ziel. 
Unaufhaltsam schien sein Aufstieg in den Terrorbanden, die sich erbitterte Schlachten mit den Spezialeinheiten der Regierung lieferten. Rücksichtslos begann Nafa in einem wahren Blutrausch zu morden, einstige Ideale und Träume längst verdrängt. 
Mit einer partiell sehr sachlichen Sprache versucht Khadra, die eigentlich unbeschreiblichen Grausamkeiten des Krieges in Worte zu fassen und den langsamen Abstieg Walids in die Niederungen einer von blindem Hass getragenen Moral mordlüsterner Krieger, die das Ziel ihrer Kämpfe schon längst verloren haben, zu beschreiben. Er erzählt, ohne groß zu Psychologisieren, denn das Erzählte spricht für sich und ist als Text Anklage genug. 
Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag, uns Europäern die Wurzeln und die Folgen von  religiösen Fanatismus nähe zu bringen. © Torsten Seewitz, 22.04.2002

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