Michael Kumpfmüller
"Durst"
Kiepenheuer & Witsch Köln 2003
208 S.; 16,90 Euro

Warum vernachlässigt eine Mutter ihre Kinder oder tötet sie gar, indem sie sie in der Sommerhitze allein zurücklässt? Von solch einer Katastrophe erzählt Michael Kumpfmüller jetzt in seinem zweiten Roman nach „Hampels Fluchten“ (2000). Es ist die Geschichte der jungen, alleinerziehenden Mutter Conny, die ihre zwei kleinen Söhne im Hochsommer im Kinderzimmer einsperrt und für mehr als eine Woche aus der Wohnung verschwindet. Alles, was die Kinder zu trinken haben, sind ein paar Tetrapacks.
Kumpfmüller thematisiert ohne Anklagen ein brisantes Tabu der Gesellschaft. Er versucht zu erklären, warum eine Mutter zu dieser Tat fähig ist. Conny treibt sich zwar tagelang in der Nähe der Wohnung herum, kehrt aber nie zu ihr zurück. Sie ahnt auch, dass sie einen Fehler macht und versucht dennoch nicht, ihren Kindern zu helfen. Kumpfmüller beschreibt diesen inneren Kampf der Mutter so, dass man ihre Handlungen nachvollziehen, wenn auch nicht verstehen kann. Dennoch macht er es sich bei der Erklärung dieses Verhaltens etwas zu leicht: Conny ist arm und viel zu jung, um Mutter zweier quengeliger Kinder zu sein. Außerdem wurde sie als Kind von ihrem Vater sexuell misshandelt. Ihr Handeln wirkt daher fast wie eine logische Konsequenz der eigenen Erlebnisse.
Interessanter wäre hier sicherlich eine Mutter gewesen, deren Gründe für das Verlassen und Töten ihrer Kinder mehrschichtiger und weniger in ihrer gesellschaftlichen Herkunft zu finden sind. Dennoch fesselt Kumpfmüller nicht nur durch seinen Tabubruch. Seine Sprache ist wunderbar präzise, seine Erzählweise passend metaphorisch: Selten wird explizit von „Conny“ gesprochen. Meist ist es einfach „eine Frau“, die da einen Sinn im Geschehenen sucht. Nicht nur der Leser beobachtet Conny, auch sie selbst steht förmlich neben sich und findet nicht zu sich und ihren Söhnen zurück. Sie ist ständig zwischen ihren Gefühlen für ihre Kinder hin- und hergerissen. Dabei ist Conny jedoch nicht nur als Mutter überfordert, auch in ihrer Rolle als junge Frau und Tochter ist sie beängstigend unsicher. Ihre Geschichte geht damit in vielfacher Hinsicht unter die Haut und wirkt trotz der Schwächen im Erklärungsansatz auf erschreckende Weise authentisch.
Von Aliki Nassoufis  

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