Michael Maar
"Das Blaubartzimmer. Thomas Mann und die Schuld"
Suhrkamp Verlag Frankfurt 2000
132 Seiten, 17,80 €

Es gibt wohl keinen Abschnitt der Vita Thomas Manns, der nicht als Gegenstand ausgiebiger biographischer und  literaturwissenschaftlicher Forschungen herhalten musste. So ist es vielleicht zu erklären, dass sich der Schriftsteller und Publizist Michael Maar ausgerechnet einem Lebensabschnitt Thomas Mann zuwendet, der weder durch Tagebuchaufzeichnungen noch durch Augenzeugen belegt werden kann. Gemeint sind die Tage und Wochen zwischen November 1896 und Frühjahr 1897, während dieser Thomas Mann in Italien weilte.  Welches Ereignis aus dieser Zeit lies ihn nach seiner Flucht in die Schweiz im Jahr 1933 derart in Panik geraten, dass er sogar um sein Leben fürchtete?
Michael Maar unternimmt in seinem Buch "Das Blaubartzimmer. Thomas Mann und die Schuld" den Versuch, auf der Grundlage intensiven Quellenstudiums dessen literarischen Werkes und umfangreichen Tagebuchmaterials, hinter dieses Geheimnis zu kommen.
Welch brisantes Material lagerte in dem verschlossenen Lederkoffer, den Thomas Mann bei seiner Flucht vor den Nazis in München zurücklassen musste? Die Vermutung liegt nahe, dass es Thomas Manns latente Homosexualität gewesen sei, um deren öffentliche Entdeckung er fürchtete. Doch die empfundene Schuld scheint weitaus tragischer zu sein, denn des öfteren spricht T.M., wenn auch indirekt in seinen Werken, von einer "Blutzeugenschaft". Wie Maar nachweist, ist das Mann'sche Oeuvre durchzogen von den Hauptthemen "Wollust und heiße Schuld", doch liefert seine tiefgehende Textanalyse wenig aufschlussreiches Material.
Im Hinblick auf diese Tatsache bewegt sich Michael Maars Studie ebenso im trüben Wasser der Mutmaßungen, ohne das große Lebensgeheimnis Thomas Manns zu lüften, wie die anderer Biographen. Es ist auch gut so, möchte man meinen. 
Das Reizvolle und Neue an vorliegendem Buch besteht jedoch in seiner detaillierten philologischen Analyse des literarischen Werkes Thomas Manns im Hinblick auf die künstlerische Verarbeitung einer lebenslang empfundenen Schuld, beginnend mit der Erzählung "Tobias Mindernickel" bis hin zum großen Lebenswerk "Doktor Faustus". Maar versteht es als glänzender Stilist, den Leser mit seiner Argumentation gefangen zu nehmen, ihn hineinzuziehen in eine verborgene Welt, doch den Schleier des Geheimnisses nicht ganz zu lüften. Nicht Resignation ob mangelnder Aufklärung breitet sich beim Lesen aus, sondern die Genugtuung über den Gewinn neuer Lesarten des genialen Werkes Thomas Manns. ©Torsten Seewitz, 11.06.2001