Monika
Maron
"Endmoränen"
S. Fischer Verlag
Frankfurt/M. 2002
252 S., 19,90 Euro
Früher,
dass heißt zu Zeiten, als es die DDR noch gab, hat sie
verschlüsselte Botschaften in historische Biographien
versteckt. Mit dem Untergang des Staates, der einmal
ihre Heimat war, kam die lang ersehnte Freiheit alles
sagen zu dürfen, nichts mehr chiffrieren zu müssen, in
jedes beliebige Land der Welt zu reisen.
Doch wie geht man mit diesem neugewonnenen Gefühl des
selbstbestimmten Lebens um, vor allem, wenn man ein
Alter von fünfzig Jahren erreicht hat?
Monika Maron widmet sich dieser Frage in ihrem neuen
Roman mit dem beziehungsreichen Titel
"Endmoränen" auf sehr subtile Weise. Johanna,
ihre Protagonistin, hat den Beginn des Herbstes lange
Zeit als Zumutung empfunden. Seit einigen Jahren erlebt
sie die Veränderungen in der Landschaft aus einer neuen
Sicht. So wie sich die eigene Biographie in gewisse
Abschnitte einteilen lässt, projiziert sie den Wechsel
der Jahreszeiten auf die Hoffnung, dass sich auch ihr
Leben ändern möge. Was bleibt an Hoffnung auf einen
Neuanfang, wenn man sich der Tatsache gewiss ist, nur noch zwanzig oder dreißig
Jahre zu leben? Dies sei doch noch eine lange Zeit, möge der Leser
dagegenhalten, doch erlebt Johanna diese Erkenntnis voller Schrecken. Fast
lähmend beschleicht sie das Gefühl, alt geworden zu sein ohne richtig gelebt
zu haben.
Einer Endmoräne gleich hat sich der Lebensschutt über Jahrzehnte vor ihr
aufgetürmt; all die Hoffnungen und Sehnsüchte, die enttäuschten Liebschaften,
die Träume von einem glücklichen Leben.
Die Zeit, als Johanna mit ihrem Mann in einem kleinen Ort mit Namen Basekow ein
altes Häuschen kaufte und dieses unter großen Schwierigkeiten ausbaute,
erlebte sie in ihrer Erinnerung als eine glückliche Zeit. Irgendwann erhielt
diese heile Welt Risse, Johanna weiß nicht mehr genau wann, doch es war zum
Ende eines Sommers, den sie ihrer Jugend zurechnete. Jetzt, Jahre später,
erlebt sie die Gegenwart, nahezu depressiv gestimmt als hoffungslos. Wehmütig
erinnert sie sich der Freundschaften zu Irene und Christian. Irene sei kürzlich
gestorben, erfuhr sie von deren Verwandten. Irgendwann hat sie die Nähe zu ihr
nicht mehr ertragen, lange Zeit jeden Kontakt vermieden. Jetzt, nach ihrem Tod,
tauchen die Bilder ihrer Freundschaft wieder auf, ungetrübt, nahezu
wehmütig
Ähnlich ergeht es ihr mit Christian, einem ehemals erfolgreichen Lektor in
einem Münchner Wissenschaftsverlag, den sie bereits zu DDR-Zeiten kennen
lernte. Beider Leben verliefen scheinbar parallel, erfolgreich in ihren
Verlagen, jeweils in eingefahrenen Beziehungen lebend, bekam ihre berufliche
Karriere mit der Vereinigung beider deutscher Staaten einen Knick. Christians
Verlag wurde radikal verkleinert und schrumpfte in seiner Bedeutung zusehends,
Johanna hatte nun ein Problem mit dem Recht der freien Meinungsäußerung in
schriftstellerischer Hinsicht. Hier bringt Monika Maron ein Problem vieler
DDR-Intellektueller zur Sprache, denen das geistige Fundament entzogen worden
war. Aus den Gedankennischen in einem totalitären System wurden Freiräume der
geistigen Kultur, die mit neuen Inhalten gefüllt werden wollten.
Ein wenig erinnert mich Monika Marons Roman in seiner Wehmütigkeit an Christa
Wolfs "Sommerstück", in welchem sie auf ähnlich eindringliche Weise
dem Verlust der geistigen Heimat nachspürt.
"Endmoränen" gehört aus meiner Sicht zu einer der wichtigsten
Neuerscheinungen deutschsprachiger Autoren dieses Bücherherbstes. Stilistisch
glänzend geschrieben und äußerst feinfühlig erzählt, setzt Monika Maron ein
unheimlich klares Gegenbild der älteren Generation zu den aktuellen
Veröffentlichungen jüngerer Autoren, die ihre Erfahrungen mit dem Staat DDR in
Worte zu fassen versuchen. ©Torsten Seewitz, 05.11.2002
www.fragmentum.de