Harry Mulisch
"Siegfried"
Aus dem Niederländischen von Gregor Seferenz
Hanser München 2001
190 Seiten, € 17,90
Es ist eine
unglaublich Geschichte, die der niederländische Schriftsteller
Harry Mulisch in seinem neuesten Buch "Siegfried" erzählt
und das nicht zu Unrecht den Untertitel "Eine schwarze
Idylle" trägt. Rudolf Herter, ebenfalls niederländischer Autor, reist in
Begleitung seiner dreißig Jahre jüngeren Frau nach Wien, um seinen
aktuellen Roman vorzustellen. Nach einer Lesung spricht ihn ein
älteres Ehepaar an und bittet ihn um ein Gespräch, während dessen
Herter schier unglaubliches erfährt. Das
Ehepaar arbeitete als Hausangestellte auf dem Obersalzberg, Hitlers
idyllischem Wohnsitz in Berchtesgaden. Als würden sie die
Geschichte noch einmal erleben, berichten sie von ihrem Leben in der
Nähe des grausamsten Diktators aller Zeiten. Doch tritt der
Kriegsherr Hitler hinter den Erinnerungen an seine Beziehung zu Eva
Braun zurück. Beide hätten einen gemeinsamen Sohn mit Namen
Siegfried, von dessen Existenz aber niemand erfahren durfte. So
wurden die Hausangestellten Ullrich und Jutta Falk zu
"Eltern" des kleinen Siegfried. Dessen leibliche Mutter
durfte ihren Sohn nur unter großen Vorsichtsmaßnahmen sehen,
Hitler hielt sich auf Distanz. 1944 dann, im Angesicht des
Unterganges seines Reiches, den Befehl, dass Kind töten zu lassen.
Während Eva Braun unter einem Vorwand nach Berlin expediert wurde,
bekam Ullrich Falk den grausamen Auftrag, das Todesurteil über den
kleinen Siegfried zu vollstrecken.
Noch über 50 Jahre nach dieser unheilvollen Tat ringen die beiden
alten Menschen nach Worten, Herter glaubt seinen Ohren nicht zu
trauen.
Fortan kann der alternde Schriftsteller an nichts anderen mehr
denken. Hatte ihn das Böse im Wesen Hitlers schon immer
beschäftigt, so kreisen seine, fast wahnhaften, Gedanken nur noch
um dessen Beziehung zu Eva Braun und die Geschichte über ihren
gemeinsamen Sohn. Und plötzlich taucht Eva Brauns Tagebuch über
die letzten Kriegstage auf...
Sicherlich kann man sich als Leser nach der Lektüre fragen, weshalb
die Person Hitler erneut literarisiert werden musste, da doch in
zahlreichen Publikationen alles aufgearbeitet und ausreichend
gedeutet worden ist. Doch erzählt Harry Mulisch seine Geschichte
aus einem neuen Blickwinkel. Ihm fallen Details in Hitlers Lebens
auf, die so bislang nicht dargestellt wurden. So zum Beispiel wie
dominierend die Farbe Braun in dessen Biographie war. Zudem erzählt
Mulisch so spannend und detailreich, dass die Illusion einer
fiktiven Geschichte schwindet. © Torsten Seewitz, 19.02.2002