Nigel Nicolson
"Virginia Woolf"

Aus dem Englischen von Monika Noll
Claassen München 2002
200 S., 12,00 Euro

Der Claassen-Verlag hat mit Virginia Woolfs Lebensbeschreibung von Nigel Nicolson seiner Reihe "Biographische Passionen" einen weiteren beeindruckenden Band sehr persönlich gehaltener Biographien bekannter Künstler, geschrieben von nicht minder bekannten Autoren, hinzugefügt. 
Nigel Nicolson, der bereits mit "Portrait einer Ehe" die Lebensgeschichte seiner Eltern Vita Sackville-West und Harold Nicolson aufgearbeitet hat, widmet sich auch in dem vorliegenden Buch einer weiteren, ihm sehr vertrauten Person zu. Obzwar Virginia Woolf zu den bemerkenswertesten Personen gehört, denen der Autor jemals begegnet ist, verfällt er nicht in eine die Realitäten verkennende Schwärmerei, sondern bemüht sich, die nachweisbaren Fakten und glaubhaften Quellen zu zitieren.
Wer immer den Roman "Die Stunden" von Michael Cunningham gelesen hat, kann vielleicht nachempfinden, unter welchen seelischen Qualen Virginia Woolf zeit ihres Lebens gelitten hat. Phasen depressiver Niedergeschlagenheit wechselten, vor allem in ihren jungen Jahren, mit Wochen und Monaten ungebändigter Arbeitslust ab. Immer an ihrer Seite der treue und verständige Ehemann Leonhard, der auch noch dann zu ihr hielt, wenn ein Zusammenleben mit ihr die Grenzen der Erträglichkeit erreichte.
Nigel Nicolson versucht in seinem Portrait der Einzigartigkeit dieser Frau nachzuspüren, die mit ihren Romanen die Welt der modernen Epik revolutioniert hat. Die zeitgenössische Kritiker übersahen häufig die neuen Impulse und taten ihre Werke als unverständlich ab. Es ist wohltuend zu lesen, dass Nicolson nicht versucht neue Mythen zu erschaffen, weder den der emanzipierten Frau, die sich von der Frauenbewegung vereinnahmen ließ, noch den einer Bohemien, die Mittelpunkt des bekannten Bloomsbury-Kreises war.  
Angenehm dicht gerät sein Portrait in den Passagen, in denen er über die Entstehung ihrer Werke schreibt. Ob "Jakobs Zimmer", "Mrs. Dalloway" oder "Die Wellen", immer war Virginia Woolf gefangen in den Zuständen eigener Unzufriedenheit und bis zum letzten Moment ihre Manuskripte korrigierend. Mit Ausnahme ihrer ersten beiden Romane erschienen die folgenden bei "Hoghart Press", dem eigenen Verlag unter Leitung von Leonard. War die Verlegertätigkeit in den Gründungsjahren über weite Strecken von großem Idealismus getragen, gab der Verlag in den späteren Jahren vielen jungen Autoren die Möglichkeit, ihr Werk erstmals publiziert zu sehen. 
Interessant sind die Passagen der Biographie, in denen Nicolson die Einstellung Virginia Woolfs zum Krieg darstellt. Gerade ihre Ausführungen zu diesem Thema, vor allem in "Drei Guineen", gaben häufig den Anlass, ihr puren Geschlechterhass vorzuwerfen, da sie zum Beispiel Kämpfen als ein Geschlechtsmerkmal ansah, welches sich Frauen niemals aneignen könnten. Anders als zu vermuten, rechnete sich Virginia Woolf dennoch nicht zu den männerfeindlichen Vertreterinnen ihres Geschlechts. Vielmehr versuchte sie, die Ursachen von Kriegen, die sie aus eigenem Erleben traumatisierten, zu ergründen. 
Auf der Höhe des Erfolgs schreibt sie zu Beginn des Jahres 1941 in ihr Tagebuch, sie befinde sich "in einem Tal der Verzweiflung", der Beginn einer Depression, die nicht mehr enden sollte. Vor allem der Krieg und die ständige Angst machten ihr zu schaffen. Sie entschließt, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Am Mittag des 28. März 1941 ging sie zum nahegelegenen Fluss Ouse und ertränkte sich. "Es muss ein grässlicher Tod gewesen sein.", merkt Nicolson an und beendet mit den Schilderungen ihrer letzten Lebensstunden seine beeindruckende und gefühlvolle Hommage an Virginia Woolf. 
©Torsten Seewitz, 27.03.2002

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