Fritz J.
Raddatz
"Gottfried Benn. Leben - niederer Wahn"
Propyläen München 2001
320 Seiten, € 23,00
Selten
hat ein Dichter sein Publikum so polarisiert und irritiert wie
Gottfried Benn. Als er 1912 mit seiner expressionistischen
Gedichtsammlung "Morgue" debütierte, wechselten
Sprachlosigkeit, Abscheu aber vor allem grenzenlose
Bewunderung für seine feinsinnige Lyrik ab. Wer konnte solch
eine Lyrik schreiben, die selbst dem Akt des Todes und der
Verwesung noch schaurig schöne Seiten abgewann?
Fritz J. Raddatz unternimmt in seiner Biographie über
Gottfried Benn den Versuch, den Menschen hinter dem Dichter in
all seiner Ambivalenz aufzuspüren und begreifbar zu machen.
Benn, der trotz des enormen Erfolges seiner Gedichte das
Schreiben nie als alleinigen Lebensinhalt begriff, wuchs in
einer streng religiösen und kulturlosen Familie auf, die das
einzige Ziel ihrer Erziehung in der Vorbereitung Gottfrieds
für den Militärdienst sah. Anfänglich verabscheut, bot das
Militär Benn in den Kriegsjahren eine gute
Unterschlupfmöglichkeit und entsprach wohl in den späteren
Jahren seiner militanten Grundhaltung.
In seiner Biographie folgt Raddatz nicht der strengen
Chronologie seines Lebenslaufes, sondern richtet den Blick mal
in die Zukunft, um dann wieder in der Vergangenheit nach
Lebensspuren zu suchen. So entstand ein ungemein spannendes
Portrait Gottfried Benns, der lebenslang mit abgrundtiefem
Hass und Verachtung für alles Schöne seine Mitmenschen
verschreckte. "Kunst statt Leben " lautete sein
Motto wider der erhabenen Ästhetik eines Thomas Mann.
Paradoxerweise vermochte Benn solch ein Leben nur im Geiste zu
erträumen, denn seine Lebensumstände entsprachen wohl eher
einem ärmlich spießigen Milieu.
Gerade in diesem Aufspüren gegensätzlicher Momente und dem
behutsamen Versuch, sie zu verständlich zu machen, liegt die
ungemeine Stärke dieser Biographie. Man spürt förmlich die
Sympathie, die Fritz J. Raddatz dem Dichter Gottfried Benn
entgegenbringt, einem Leben ständig zwischen den Polen
"begnadeter Dichter" und "diabolischer
Geiferer" pendelnd. Doch gerade in dieser
Widersprüchlichkeit schien sich Benn zu gefallen. Jedenfalls
taten diese Allüren seinem Ruhm keinen Abbruch. Erst sein
kritikloses Sympathisieren mit dem faschistischen Regime in
Deutschland brachte ihm viele Feinde, vor allem
Schriftstellerkollegen, die mittlerweile im Exil lebten.
Wider Erwarten verzichtete der deutsche Staat auf den Dichter
Benn, wohl weil seine Dichtung nicht ihrem idealisierten Bild
vom Menschen entsprach; und belegte ihn, unter Androhung von
Strafe, mit Schreib- und Publikationsverbot.
Fritz J. Raddatz gelingt es vortrefflich, diese schwierige
Etappe in Benns Lebenslauf, detailliert und möglichst
wertungsfrei darzustellen. Vielmehr legt er sein
Hauptaugenmerk auf innerer Beweggründe, die Benns Sicht auf
die Dinge prägten und die letztendlich in der Erkenntnis
münden, dass Benns zwar Faschist, jedoch kein Nazi war.
Das Schicksal seiner französischen Schriftstellerkollegen,
sich einer Gesinnungsprüfung unterziehen zu müssen, blieb
Benn nach Kriegsende jedoch erspart. Kaum jemand verlangte von
ihm eine Stellungsnahme und Rechtfertigung seines Verhalten
zur Zeit der Nazidiktatur. Sein schärfster Kritiker war wohl
Benn selbst. Ständig schwankte er zwischen Hochachtung und
Geringschätzung seines eigenen Werkes.
Gerade diese Widersprüchlichkeit im Wesen Benns, dieses Hoch
und Tief der Emotionen auch für den Außenstehenden
Betrachter nachvollziehbar herauszuarbeiten, darin liegt die
ungemeine Stärke dieser Biographie über den Dichter
Gottfried Benn. Stilistisch meisterhaft, gelingt es Fritz J.
Raddatz das Werk des bedeutenden Lyrikers zu würdigen ohne
jedoch den Menschen Gottfried Benn zu vernachlässigen. ©Torsten
Seewitz, 2.11.2001