"Meine freie deutsche Jugend"
S. Fischer Verlag Frankfurt/M. 2003
156 S.; 14,90
Ostalgie
in Form von Filmen wie „Goodbye, Lenin“ liegt im Trend und ruft vieles wie
die Haselnusscreme Nudossi und die Afri-Cola
aus DDR-Tagen ins Gedächtnis zurück. Doch während über den meisten dieser
Erinnerungen ein verklärender Nebel hängt, hat Claudia Rusch nun ihr Debüt
geschrieben, in dem sie sich zwar liebevoll, aber auch durchaus kritisch ihrer
eigenen Kindheit und Jugend in der ehemaligen DDR nähert.
Rusch wurde 1971 in Stralsund geboren, lebte dann in der Mark Brandenburg
und später in Ostberlin. Ihre Geschichten erzählen von ihrem katastrophalen
Jugendweihe-Kleid, den ungenießbaren, aber immerhin vom KaDeWe importierten
Hummern und von ihrer Vorliebe für Raider aus dem Intershop. Doch auch während
dieser amüsanten Erinnerungen, schafft es Rusch mühelos, bissig und ernst zu
beobachten. „Er war groß und blond und hätte zu anderen Zeiten sicher auch
Arbeit gefunden. Sein Name passte zu ihm. Er hieß Petzke“, schreibt sie
beispielsweise über ihren Klassenlehrer und seine Liebe zum Vaterland.
Diese skeptische Haltung gegenüber der DDR wurde Rusch praktisch in die Wiege
gelegt. Schon ihr Großvater kämpfte gegen das DDR-System und Rusch wuchs so in
einer Welt auf, die geprägt war von Abscheu und Liebe gleichzeitig. Die Liebe
zu ihren Eltern, besonders die zu ihrer ebenfalls politisch aktiven Mutter,
schimmert zwischen allen Zeilen hindurch. Denn sie ermöglichte ihr trotz Stasiüberwachung
eine relativ unbeschwerte Jugend. Mit Liebe zur DDR hat das bei Rusch allerdings
wenig zu tun, eher mit Abscheu. Zu allgegenwärtig war stets die Angst, die
Stasi könnte der systemkritischen Familie und der aufmüpfigen Claudia mehr als
nur den Mund verbieten. „Blanker Hass fackelte in mir auf. Es gibt Dinge, die
kann ich der DDR nicht verzeihen. Das Zerstören von Familien gehört dazu“,
heißt es.
Innerhalb dieser räumlichen wie auch geistigen Enge wird die Fähre, die täglich
über die Ostsee nach Schweden fährt, zu einem Synonym für unerfüllte Träume,
unerreichbare Länder und unerlaubte Reisen. Dieser Drang nach Reisen zieht sich
durch alle Erzählungen hindurch, und Rusch verbindet auch hier Komik und
Kritik. Doch selbst wenn Rusch nichts verherrlicht, so fällt sie nie ein
Pauschalurteil über „die Ossis“. Sie zeigt vielmehr auf, wie es trotz allem
in der DDR sein konnte – amüsant-kritische Nostalgie statt verklärter
Ostalgie. Von Aliki Nassoufis / ana