Anna
Seghers
"Jans muß sterben"
Aufbau-Verlag Berlin 2000
89 Seiten, 15,00 Euro
Im Jahr des 100. Geburtstages von Anna Seghers
veröffentlicht der Aufbau-Verlag eine bislang unentdeckte Erzählung der
Autorin. Ihr Sohn, Pierre Radvanyi, fand das kleine Prosawerk "Jans Muss
sterben", zwar unautorisiert doch zweifelsfrei dem Frühwerk der Seghers zuzuordnen, beim genaueren Durchsehen des Nachlasses seiner Mutter.
Warum und weshalb für Anna Seghers die Erzählung in Vergessenheit geriet, muss
unbeantwortet bleiben. Sicher ist jedoch, dass sie bereits 1925 daran arbeitete
und später als Typoskript fertig stellte.
Bereits in diesem frühen kleinen Meisterwerk zeigt sich das Hauptthema des
Seghers'schen Oeuvres, die Welt der Armen und Schwachen. Mit kargen und doch
ergreifenden Sätzen schildert sie das langsame Sterben des kleinen Jans, der
mit seinen Eltern in ärmlichen Verhältnissen in einer Hinterhauswohnung lebt.
Mit der Krankheit ihres Sohnes finden die vordem verstrittenen und sich
entfremdeten Eltern wieder zueinander. Doch sind sie mit dem Leiden ihres Sohnes
überfordert und entfernen sich emotional von ihm.
Jans war für seine Eltern bereits gestorben, noch bevor aus seinem kleinen
Körper alles Leben entwichen war.
Der Leser erlebt dieses langsame Sterben aus verschiedenen Perspektiven. Anna
Seghers spiegelt erzählend das Erleben von Jans und seiner Eltern wider.
Besonders Jans Reflektion seines persönlichen Schicksals erhält in der
Verflechtung realistischer und märchenhafter Erzählelemente eine besonders
atmosphärische Dimension. Und so erlebt der Leser den plötzlichen Tod des
Jungen mit Erleichterung, als eine Erlösung von seinem Leiden und seiner
zunehmenden Einsamkeit.
"Jans muß sterben" ist ein eindeutiger Beleg für die frühe
Meisterschaft der Schriftstellerin Anna Seghers und ihre besondere Gabe, sich in
die Gefühle und Gedankenwelt anderer Menschen einfühlen zu können. ©Torsten
Seewitz, 30.12.2000