Muriel Spark
Frau Dr. Wolfs Methode
Aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser
Diogenes Verlag Zürich 2003
176 S.; 8,90 Euro

Können Sie sich vorstellen, für eine dreiviertel Stunde dauernde Sitzung bei einer Psychologin fünfzehnhundert Dollar zu bezahlen? Und als wäre dies nicht genug, sie in den Sitzungen mehr von den Problemen der Therapeutin erfahren und Sie mit ihrem Anliegen gar nicht oder nur zeitweise zu Wort kommen?
Diese ungewöhnliche Therapieform praktiziert Dr. Hildegard Wolf überaus erfolgreich in Paris. Kaum zu glauben, aber sie gehört mit diesem ungewöhnlichen Verfahren zu den gefragtesten Mitgliedern ihrer Zunft. Obgleich viele ihrer Patienten bereits nach den ersten Therapiestunden genug von den Monologen der Frau Dr.Wolf haben, kommt ein nicht geringer Teil ihrer Patienten, wohl mehr fasziniert als von der eigenen Heilung überzeugt, wieder.
So auch ein gewisser Lord Lucan, genannt Lucky, der ein gewissen Bekanntheitsgrad als berühmt-berüchtigter Nanny-Mörder genoß, doch seit Jahren als verschollen galt. Als  dann wenig später ein Doppelgänger Lord Lucans auftaucht und behauptete, er sei der richtige Lord, schien die Verwirrung in der Wolf'schen Praxis perfekt. Aus therapeutischer Sicht sah Frau Dr.Wolf kein Problem auf sich zukommen, vielmehr begann der Fall des vermeintlichen Mörders und seines Doubles sie zu interessieren.
Prekär wurden die Therapiestunden erst, als einer der beiden angab, gut über ihr Vorleben Bescheid zu wissen. Sollte wirklich jemand erfahren haben, dass sie in ihren Jugendjahren als angeblich Stigmatisierte unzählige Gläubige hinters Licht führte?
Wer bereits mehrere Bücher Muriel Sparks gelesen hat, weiß, daß sie es vortrefflich versteht, ihre Geschichten mit abgründigem, ja schwarzem Humor zu erzählen. In einer Art Vorwort erläutert sie, daß die von ihr in diesem Roman verwendete Geschichte in den Grundzügen tatsächlich so geschehen sei. Und irgendjemand mußte einmal erklären, wie der als Nanny-Mörder bekannte Lord Lucan nach Zentralafrika kam und dort zu einem gewissen Bekanntheitsgrad erlangte.
Dass, was auf dem ersten Blick der Grundkonstellation eines Kriminalromans entspricht, entwickelt sich im Laufe der Handlung zu einer immer skurriler werdenden Geschichte mit einem noch absurderem Ende. Muriel Spark beweist mit diesem Roman, dass sie die Kunst des Erzählens perfekt beherrscht und das die Lektüre ihrer Bücher, gerade für Freunde des typisch britischen Humors, ein Genuss sondergleichen darstellt. ©Torsten Seewitz, 11.11.2003

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