Susanna Tamaro
"Antworte mir"

Aus dem Italienischen von Christel Galliani
C. Bertelsmann München 2001
288 Seiten, 18,00 €

Was bewegt einen Menschen, denjenigen zu hassen, den er einmal geliebt hat? Ist der Grat zwischen Liebe und Hass so schmal, dass der die Liebe Suchende, den Halt verliert und in den Abgrund fällt, blind von seelischem Schmerz und ungetrockneten Tränen?
Diesen Grenzsituationen versucht sich Susanna Tamaro in ihrem neuen Buch "Antworte mir" schreibend zu nähern. Ohne Pathos, jedoch unheimlich einfühlsam, horcht sie in die kaputten Seelen ihrer Protagonisten hinein; spürt den menschlichen Schicksalen nach, die, auf der Suche nach Liebe, statt erhoffter menschlicher Wärme nur Gewalt erfahren.
So verliert Rosa in der titelgebenden Geschichte im Alter von acht Jahren ihre Mutter. Das Heim in einem Kloster soll ihr die fehlende Geborgenheit geben, doch stößt sie ob ihres Eigensinns größtenteils auf Ablehnung und Verachtung. Sogar die einzigen Verwandten, die sie öfters in ihrem abgelegenen Dorf besucht, erfüllen nur scheinheilig ihre Pflicht. Irgendwo muss es doch sein, dieses Gefühl von Wärme, von dem ihre Mutter immer sprach.
Letztendlich, als Rosa die Hoffnung schon aufgeben hatte, zeigt sich ein Lichtblick am Horizont. Nach einem wahrhaftigen Befreiungsschlag aus der Enge ihrer verwandtschaftlichen Welt und der emotionalen Verlogenheit des Kloster findet sie eine Anstellung als Kindermädchen in einer Architektenfamilie. Rosa ist glücklich und fühlt zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Geborgenheit und menschliche Wärme. Doch es dauert nicht lange, bis diese zaghaften Gefühle schamlos ausgenutzt werden...
Auch in den zwei anderen Geschichten setzt Susanna Tamaro auf die Wirkung klischeehafter Motive, doch nicht zum Nachteil des Buches. Neben einer tiefen Betroffenheit, die einem beim Lesen ergreift, führt sie unseren Blick tief in das Innere ihrer Protagonisten und macht so deren individuelle Bewusstseinslage nachvollziehbar. Vielleicht ist dies die Kunst der Tamaro, den Leser mit ihren Büchern an seiner empfindlichsten Stelle, seinem Herzen, zu berühren. Nicht missionarisch erzählt sie von der Hoffnung auf eine bessere Welt, nicht tränenrührender Kitsch prägt diese Prosa, sondern diese gewisse Spur von Wahrhaftigkeit. ©Torsten Seewitz, 16.09.2001

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