Hans-Ulrich Treichel   
"Tristanakkord"

Suhrkamp Verlag Frankfurt 2000
236 S., 19,80 € (HC), 10,00 € (TB)

Wer behauptet, Literatur aus Deutschland sei zu kopflastig und habe wenig zu erzählen, wird mit "Tristanakkord", dem neuen Roman Hans-Ulrich Treichels, eines Besseren belehrt. Wie die 1998 erschienene Erzählung "Der Verlorene" bereits vermuten ließ, hat mit diesem Autor ein wunderbarer Erzähler die Bühne der deutschen Gegenwartsliteratur betreten. Hier schreibt jemand, der Geschichten zu erzählen hat und dies nicht mit intellektueller Verbissenheit, sondern mit wohltuender Leichtigkeit und subtiler Ironie.
Georg Zimmer, kürzlich noch Student der Germanistik, jetzt Inhaber des wohlklingenden Titels "Magister artium", arbeitslos und Sozialhilfeempfänger findet eine kurzzeitige Anstellung bei dem berühmten Komponisten Bergmann. Diesem soll er bei der Überarbeitung und Korrektur der Lebenserinnerungen behilflich sein. Georg als Angestellter des großen Bergmann, für ihn kaum vorstellbar, hat er doch selbst ein recht gestörtes Verhältnis zur Musik. Als Kind empfand er die Blockflöte weniger als Musik-, denn mehr als "Disziplinierungsinstrument". Auch die Versuche, Klavier oder Gitarre zu spielen, blieben von geringem Erfolg gekrönt. Einzig der "Tristanakkord" aus Wagners "Tristan und Isolde" blieb ihm vage in Erinnerung. Wie gesagt vage, denn eine Germanistikstudentin, die er mit seinen eingebildeten musikalischen Kenntnissen beeindrucken wollte, verabschiedete sich ziemlich. Er sah sie nie wieder.
Aber nicht nur die höheren Weihen der Musikwelt sind ihm versagt, sondern auch die Wege in die germanistische Forschungswelt. Seit Monaten plagt er sich nunmehr ziemlich uninspiriert mit seiner Dissertation zum Thema "Das Vergessen in der Literatur" herum.
Doch jetzt sollte alles anders werden. Er durfte für den berühmten Komponisten Bergmann arbeiten. Nicht irgendein Job, wie ihm sein Studienkollege vor seiner Abreise versicherte, denn Bergmann sei vergleichbar mit Brahms oder Beethoven.
Voller Erfurcht und Erwartung reist Georg zum schottischen Landsitz seines künftigen Arbeitgebers. Dieser wiederum ist so sehr mit der Komposition eines musikalischen Werkes mit dem unaussprechlichen Namen "Pyriphlegethon" beschäftigt, dass er zwar Georgs Dienste gern in Anspruch nimmt, aber wenig Verständnis für dessen persönliches Dilemma aufbringt. Als beide feststellen, dass ihre gemeinsame Heimat im provinziellen Emsfelde liegt, scheint endlich das verbindende Element gefunden zu sein. Doch muss Georg bald spüren, dass ihn Welten vom Kosmopoliten Bergmann trennen. Ihm ehrfurchtsvoll ergeben, lässt er sich von Bergmann mal nach New York, dann wieder auf dessen sizilianisches Landgut bestellen. Man wird den Eindruck nicht los, als bräuchte Bergmann den ehrfürchtigen Georg um seine eigene Überlegenheit zu demonstrieren. So gesehen, gereicht Georg die gemeinsame Herkunft eher zu Nachteil, da er ständig von Bergmann vorgeführt wird.
Hans-Ulrich Treichel erzählt auf äußerst unterhaltsame Weise vom vergeblichen Bemühen des erfolglosen Georg Zimmer in die Welt der Berühmten und Erfolgreichen aufzusteigen und dem permanent seine provinzielle Herkunft zum Verhängnis wird.
Doch nicht nur die kleinbürgerliche Welt Georgs wird karikiert, sondern auch das abgehobene, weltfremde Gebaren Bergmanns, der arbeitswütig eine Komposition nach der anderen fertiggestellt und mit Starallüren seine Angestellten schikaniert, ständig auf Ruhm und Anerkennung bedacht.
Mit "Tristanakkord" ist Treichel ein äußerst unterhaltsames und kurzweiliges Buch gelungen, welches zwar zahlreiche Klischees bedient, aber gerade dadurch glaubwürdig wird. Sind es doch die Klischees, die unser Weltbild im Gleichgewicht halten. ©Torsten Seewitz, 27.07.2000