Brady Udall
"Der Bierdosenbaum"
Aus dem Amerikanischen von
Henning Ahrens
Deutsche Verlagsanstalt 2001
399 Seiten, € 25,00
Hierzulande dürfte Brady Udall
nur wenigen bekannt sein. Doch spätestens seit Erscheinen
seines Romans "Der Bierdosenbaum" (im Original "The
Miracle Life Of Edgar Mint") in deutscher Übersetzung gilt
es einen talentierten und vielversprechenden Autor zu entdecken.
Udall, im Indianerland Arizonas aufgewachsen, erzählt die
unglaubliche Geschichte des kleinen Edgar Mint, der mit sieben
Jahren von einem Postauto überfahren wurde, doch diesen Unfall,
wie durch ein Wunder, überlebte. Seither wird Edgars bislang
trostloses Leben in einem Indianerreservat von zahlreichen
dieser wundersamen Ereignisse, die ihn häufig genug in
lebensgefährliche Situationen bringen, bestimmt. Nach Wochen
des Komas wacht er im Krankenhaus Saint Divine auf, um daraufhin
von Patienten und Personal wegen seines Lebenswillens bestaunt
zu werden. Er schließt Freundschaft mit Art, einem alkohol- und
liebeskranken Alten, der ihm zu seinem Geburtstag eine alte
Schreibmaschine Marke
"Hermes Jubilee" schenkt. Fortan beschließt Edgar
seine Alltagserlebnisse auf Papier zu bannen. Anfänglich
zögernd wagt sich Edgar an das Schreiben und ist fasziniert von
dem Klacken der Tasten. Seitdem verging kein Tag, an dem er
nicht mindestens eine Stunde mit Tippen verbrachte. Im Laufe der
Jahre sollte Edgar Berge von Papier akribisch beschrieben haben,
eine Art Gedächtnis, welches ihm durch den Unfall beinahe
abhanden gekommen wäre.
Mittlerweile fühlte sich Edgar im Krankenhaus heimisch, und er
bemerkte gar nicht, wie schnell seine Genesung fortgeschritten
war. Er konnte als gesund entlassen werden. Doch wohin? Wieder
nach Hause. Wo war das? Seine versoffene Mutter und seine
böswilligen Großmutter schienen ihn jedenfalls nicht zu
vermissen.
Da taucht Dr. Barry auf, der Arzt, der Edgar das Leben rettete,
um ihm seine Hilfe anzubieten, bevor das Jugendamt eine
Entscheidung trifft. Doch hat Dr. Barry nicht mit dem Widerstand
von Edgars bestem Freund Art gerechnet, der um jeden Preis
verhindern will, dass Edgars Leben von diesem zwielichtigen Mann
bestimmt wird.
Da Edgar nicht mehr nach Hause kann, wird er in die Obhut seines
Onkels gegeben, der als Hausmeister in der verrufenen
Willie-Sherman-Schule arbeitete, einer Art Internat mit
Straflagercharakter für elternlose Indianerkinder. Endlich eine
Heimat finden, zur Ruhe kommen war Edgars größter Wunsch. Doch
statt des erhofften Paradieses erwartete ihn hier der Vorhof der
Hölle. Jetzt zählte allein sein Wille zu Überleben. Und dann
muss er noch den Postboten wiederfinden, um ihm zu erzählen,
dass er lebt ...
Obgleich der Buchtitel der deutschen Übersetzung bereits die
Skurrilität des Romans erahnen lässt, verbirgt er jedoch, was
den Leser in Gänze erwartet - ein erzählerisches Glanzstück,
mit einer Hauptfigur, die man nach 400 Seiten wie einen guten
Freund ins Herz geschlossen hat. Unbestritten beweist Brady
Udall, dass er, fernab jeder Klischees und hochgeistiger
Ergüsse, etwas zu erzählen hat und dass er diese Kunst auch
souverän beherrscht. ©Torsten Seewitz, 23.12.2001