Barbara Voors
"Klaras Tagebuch"

Aus dem Schwedischen von Gisela Kosubek
Gustav Kiepenheuer Verlag 2000
304 S., 18,00 € (HC), 8,50 (TB)

Manchmal bedarf es nur einer Kleinigkeit, um längst verdrängt geglaubte Gedanken wieder an die Oberfläche unseres Bewusstseins zu befördern. Dies kann ein unerwartetes Erlebnis sein, eine winzige Irritation unseres Alltags.
Inmitten des belebten Amsterdams wird Saskia van Ammer von einem Radfahrer angefahren. In einer Stadt mit dem Hauptverkehrsmittel Fahrrad sicherlich keine Seltenheit, doch lässt dieser Vorfall ihr Leben aus den Fugen geraten. Zehn Jahre sind seit dem vermeintlichen Suizid ihrer Zwillingsschwester Klara vergangen. Jahre, in denen sie den Tod ihrer Schwester verarbeitet glaubte. Plötzlich rissen die alten Wunden wieder auf. All die verblassten Erinnerungen an jenen Tag vor zehn Jahren, als man das auf einer Brücke abgestellte, verlassene Auto Klaras fand und die Polizei die Leichen der ehemaligen Freundin Klaras, Desirée Cronenfeldt und ihres Geliebten Erik von Rensen entdeckte, bekamen wieder Konturen. Nach Jahren ergebnislosen Ermittelns hatten die Kriminalbeamten die Suche nach Klara und dem Mörder Desirées und Eriks eingestellt. Zudem wurde Klaras Leichnam nie gefunden. Hatte sie etwas mit dem Tod der beiden zu tun? Vielleicht lebte sie noch, untergetaucht und mit neuer Identität in einem anderen Land? Fragen, auf die Saskia nie eine Antwort fand.
Erst ein Sommerurlaub Saskias mir ihrer Familie im ehemaligen Sommerhaus ihrer Mutter, auf einer Insel in den Stockholmer Schären, konfrontiert sie mit der eigenen und der Vergangenheit ihrer Schwester. Auf dem Boden des alten Hauses findet sie einen Karton mit Klaras Tagebüchern und Briefen, die immer an sie, als geliebte Schwester gerichtet sind. Mühevoll und unter großer Überwindung zwingt sich Saskia, die Notizen zu lesen. Tiefer und tiefer dringt sie in die verhängnisvolle Biographie ihrer Schwester ein, die bestimmt war von der zerstörerischen Freundschaft mit Desirée Cronenfeldt.
Doch nicht nur Saskia interessiert sich für die Geschichte ihrer Schwester. Auf der Insel lebt seit einigen Jahren Kriminalinspektor Adolfsson a.D., der in jenen Tagen die Ermittlungen in den drei Todesfällen leitete. Obwohl inzwischen pensioniert, hat er die Suche nach dem Mörder und vor allem nach Klara nicht aufgegeben. Seine scheinbar belanglosen Fragen verunsichern Saskia zutiefst. Weiß er vielleicht mehr, als er vorzugeben scheint?
In ihrem mittlerweile dritten Roman "Klaras Tagebuch" erzählt die junge schwedische Autorin Barbars Voors die spannende Geschichte einer verhängnisvollen Geschwisterliebe. Was dem Leser im Gewand eines Kriminalromans präsentiert wird, ist im Grunde genommen eine detaillierte Analyse der fatalen Folgen zwischenmenschlicher Abhängigkeiten und politischen Abgründe des Schwedens der 70er Jahre. Barbara Voors versteht es meisterhaft, den Leser in ein Labyrinth von Vermutungen zu führen. Sie legt Fährten aus, denen der Leser bereitwillig folgt, um am Ende festzustellen, dass nichts so scheint, wie ursprünglich gedacht.
Ein äußerst lesenswertes, in der Tradition sozialkritischer Kriminalliteratur Schwedens geschriebenes, Buch. ©Torsten Seewitz, 26.08.2000

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