Leon de Winter
"Malibu"
Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers
Diogenes Verlag Zürich 2003
417 S.; 22,90 Euro

Ist es ein Brief von Gott, den Joop Koopman unvermittelt nach dem tragischen Tod seiner Tochter Mirjam in den Händen hält? Wohl kaum, doch versucht der Absender akribisch, die Ursachen für den verhängnisvollen Verkehrsunfall am 22. Dezember 2000 zu ermitteln. Angefangen von den  Kontinentalverschiebungen, über den großen Grabenbruch, die sogenannte San-Andreas-Verwerfung und das daraus resultierende  Northrigde-Erdbeben von 1994 bis hin zu einem Lastkraftwagen der Umzugsfirma U-Haul Co. und dessen durch das Erdbeben leckgeschlagenen Ölwanne versucht „Gott“ den kosmologischen Verschwörungen auf den Grund zu gehen.
Ein grandioser Einstieg in einen Roman, der im folgenden so manche Überraschung parat hält. Soll man es anders als Zufall nennen, das Koopman just am Tage des Unfalls seiner Tochter einen Bekannten aus Jugendtagen, Philip van Gelder, wiedertrifft, der zur Mitarbeit im israelischen Geheimdienst bewegen will. Das Angebot klingt verlockend und die Aufgabe nicht schwer, doch Koopman lehnt erst einmal ab, zu groß sind seine Bedenken und Skrupel für den Mossad zu arbeiten.
War er bereits vor dem Tod seiner Tochter als Drehbuchschreiber nur mäßig erfolgreich, will ihm die Arbeit nun gar nicht mehr gelingen. Doch ist Koopman bewußt, wenn er keine Aufträge mehr bekommt, ist das ersparte Geld bald aufgebraucht. Zu allem Überfluß drängt sich noch Errol Washington in sein Leben, der Mann, der seine Tochter an jenem Dezembertag mit dem Motorrad mitnahm und wegen einer Ölspur auf der Straße mit dem Zweirad verunglückte. Er wolle die Schuld am Tod seiner Tochter abtragen, indem er sich Koopman nahezu sklavisch unterwirft.
Zuviel für Joop, der erst vor wenigen Tagen das Liebste verloren hat, was er je besaß. Er wollte trauern, sich von der Welt zurückziehen, allein sein, doch niemand wollte ihm dieses Recht zugestehen, weder seine geschiedene Frau, noch sein Geheimdienstfreund Philip oder Errol Washington, der Koopman für keine Minute mehr aus den Augen lies.
Als wäre dies an Personen und Handlung für seinen Roman noch nicht genug, läßt Leon de Winter eine alte Freundin Joops, Linda, die Romanbühne betreten, die zu allem Überfluß mit einem buddhistischen Mönch anreist, der behauptet, die Reinkarnation von Joops Großvater zu sein.
An dieser Stelle könnte man meinen, der Autor wäre gänzlich übergeschnappt und wolle etwas zu viel des Guten. Doch de Winter behält, oh Wunder, den Überblick! Und mit ihm natürlich der Leser, denn wer bereit ist, sich auf diese verworren erscheinende Geschichte einzulassen, wird sie unweigerlich genießen und deren Auflösung entgegenfiebern.
Leon de Winter gelingt es vortrefflich, die verschiedenen Handlungsstränge so zu führen, dass sie den Gesetzen  der Logik gehorchen. Neben dem kriminalistischen Element durchziehen vor allem philosophische Exkurse zum Thema „Leben und Tod“ den Roman.
Seinen äußeren Rahmen bekommt der Roman durch die Suche Koopmans nach dem Empfänger des Herzens seiner Tochter. Kurz nachdem diese in der Klinik verstarb, hatte er wie auch immer motiviert, zugestimmt, das ihr das Herz als Spenderorgan entnommen werden durfte. Doch der Empfänger lehnt jeden Kontakt mit ihm ab. Wie gut, dass man einen Freund beim Geheimdienst hat ...
Mit „Malibu“, im Original treffender „God`s Gym“, ist Leon de Winter das Wagnis eingegangen, so konträre Themen wie Geheimdienstarbeit und Reinkarnationstheorien unter dem Dach eines Romans zusammenzuführen. Das Wagnis hat sich gelohnt, denn dieser Roman, grandios erzählt, zählt zu den anregendsten und unterhaltsamsten dieser Saison. Torsten Seewitz, 27.04.2003

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