Wolfgang
Büscher
"Berlin-Moskau"
Rowohlt Verlag Reinbek
2003
238 S.; 17,90 Euro
In einer medial überfluteten Zeit, in der auch der entfernteste Ort auf den
Bildschirm im eigenen Wohnzimmer geholt werden kann, werden Abenteu(r)er selten.
Was gibt es denn schon Neues zu entdecken, jeder Winkel der Welt scheint, wenn
ach nur virtuell, erreichbar. So verwundert es um so mehr, dass sich ein Mensch
unserer Tage aufmacht, um die Strecke von Berlin nach Moskau zu Fuß zurück zu
legen. Dieser Entschluss verdient uneingeschränkten Respekt, gilt es doch eine
Entfernung von über 1500 Kilometern ohne die vertrauten Verkehrsmittel zu überwinden.
Doch was treibt jemanden freiwillig zu solcher Aktion?
Es war wohl nicht nur die Lust am Entdecken unbekannter Landstriche, sondern
auch das Interesse an den unentdeckten biographischen Landschaften der Menschen,
die ihm auf seinem Weg begegneten. Gerade diese Erzählungen sind es, die Büschers
Buch einen besonderen Reiz verleihen, denn sie lassen die Wunden, die gerade die
Deutschen dem polnischen und russischen Volk zugefügt haben, wieder sichtbar
werden. Zudem bewegt sich der Autor auf historischen Pfaden, denn bereits
Napoleon und Hitlers Heeresgruppe Mitte nutzten diese kürzeste Entfernung um in
den Osten zu gelangen.
Es war Sommer in Berlin, als sich
Wolfgang Büscher im Jahr 2001 aufmachte, um die beschwerliche Reise auf sich zu
nehmen und es sollte Herbst werden, bis er Moskau erreichen würde.
Gleich zu Beginn führt ihn der Weg durch die Seelower Höhen, dem letzten großen
Schlachtfeld zwischen der Sowjetarmee und den deutschen Streitkräften vor der
Eroberung Berlin im Mai 1945.
Es sind vor allem diese Erinnerungen an den unsäglichen 2.Weltkrieg, die den
Menschen, die Büscher während seiner Reise traf, nachgehen. Auch 60 Jahre nach
Kriegsende sind die seelischen Wunden noch nicht verheilt. Da ist zum Beispiel
die Geschichte der selbstlosen, geheimnisvollen polnischen Gräfin, die es
schaffte, ihren Ehemann vor dem sicheren Tod durch Erschießung zu bewahren und
dann später im Untergrund gegen die deutschen Besatzer kämpfte. Oder die Erzählungen
eines alten Mannes, der von Büscher befragt, bereitwillig und voller Stolz von
seiner Partisanenzeit erzählte. Nicht nur die Deutschen mordeten, erinnert er
sich, sondern auch die eigenen Leute. So wurde seine große Liebe, ein junges Mädchen,
erschossen, weil man deren Vater beschuldigte, Informationen über
Partisaneneinheiten an die Deutschen verraten zu haben.
Neben den zahlreichen Erinnerungen an vergangene Zeiten, zeichnet sich Büchers
Buch vor allem dadurch aus, dass er sich der historischen Bedeutung seiner
Reiseroute zwar bewusst ist, jedoch seinen Blick ebenso auf den Alltag der
Menschen in Polen, Weißrussland und Russland richtet. So erzählt er von
Schmuggelaktionen weißrussischer Hausfrauen an der polnisch-weißrussischen
Grenze oder vom Trauma Tschernobyl und den katastrophalen Folgen für Mensch und
Natur, aber auch von Ressentiments gegenüber ihm als Deutschen. Zum Glück
musste er diese Abneigung nur selten spüren. Nur einmal geriet er in eine gefährliche
Situation, die jedoch glimpflich endete.
Es grenzt an ein Wunder, dass Wolfgang Büscher es letzten Endes geschafft hat,
das ersehnte Moskau zu erreichen, denn manchmal schienen die Strassen kein Ende
zu nehmen. Auch die Nächte in den verschiedensten Herbergen, die in keiner
Weise den westeuropäischen
Komfortmaßstäben entsprachen, brachten kaum genug Erholung, um Kräfte zu
sammeln.
Schade nur, dass die Schilderungen des Autors so abrupt am lang ersehnten Ziel
seiner Reise enden. Über Moskau hätte ich mir mehr Eindrücke und
Informationen gewünscht. Aber dies war vielleicht nicht Anliegen des Buches.
Torsten Seewitz, 03.07.2003