Für
Max konnte es so nicht weitergehen. Wenn er Ronni,
seinem Partner in der Werbefirma, nicht endlich die
Meinung sagte, würde die ganze Firma bald vor der
Pleite stehen. Aber wie beginnen, wenn man nicht den Mut
hat, jemanden die Wahrheit ins Gesicht zu sagen? Viel
Zeit blieb ihm nicht mehr, denn gleich würde Ronni das
Restaurant betreten, denn sie hatten sich zum Essen
verabredet.
Ronni benahm sich in letzter Zeit wirklich unmöglich.
Erst gestern hatte er Nina den Urlaub gestrichen und
beinahe einen großen Auftrag durch dummes Gerede in den
Sand gesetzt. „Das Problem mit Idioten ist es“,
denkt Max, „dass sie zu idiotisch sind, um ihre
Idiotie einzusehen.“ Und Ronni bildete da keine
Ausnahme.
Doch wenn die Not am größten ist, erscheint, wie im Märchen,
eine gute Fee und erfüllt einem Wünsche.
So geschieht es auch in Jakob Arjounis neuem Buch
„Idioten“, denn Max hat das unbeschreibliche Glück,
dass eben jenes märchenhaftes Wesen erscheint und ihn
nach seinem sehnlichtsten Wunsch befragt. Zugegeben, die
Fee in Arjounis Märchen ist etwas moderner und ihr Chef
vom Sternschnuppendienst hat sie erst kürzlich in den
Kreis der Feen befördert, aber die anfänglichen
Unsicherheiten würden sich bald legen. Zwar kann man
sich heute in Zeiten des Sparens nicht mehr alles wünschen,
denn die Gebiete Unsterblichkeit, Gesundheit, Geld und
Liebe sind ausgeschlossen, doch bleiben ja genug Wünsche
übrig. Und von diesen Wünschen erzählt Arjouni in
seinen fünf modernen Feen - Märchen, deren
Protagonisten am Rande einer existentiellen Krise
stehen. Sei es nun der Schriftsteller, der bislang
erfolgreiche Groschenromane schrieb und endlich einen
richtigen Roman zu Papier bringen möchte oder die
linksalternative Mutter, die für ihren Sohn nur das
Beste wollte und ihn mit ihrem Übermaß an Fürsorge förmlich
die Luft zum Atmen nahm, alle Geschichten haben eins
gemeinsam - sie zeigen, dass alles im Leben seine zwei
Seiten hat. So betrachtet, ist auch das Ergebnis der
Wunscherfüllung nicht vorhersehbar.
Genau diese Unvorhersehbarkeit ist es dann auch, die
Arjounis Märchen einen besonderen Reiz verleiht. Zwar
handelt es sich bei den in seinem aktuellen Buch
versammelten Texten keinesfalls um Einschlafgeschichten,
die man bedenkenlos den lieben Kleinen vorlesen kann,
jedoch bieten sie gute Unterhaltung für die Generation
der Eltern, die mit einem Lächeln auf den Lippen
einschlafen werden.
Man sollte nicht den Fehler machen, Arjounis moderne
Feen - Märchen mit allzu großem Ernst zu lesen, denn
sonst könnten die wunderbar ironischen Zwischentöne überhört
und der gewisse präzise Blick für menschliche Schwächen
und Eigenarten übersehen werden. Kurzum, Arjounis
„Idioten“ unterhalten den Leser köstlich und ohne
zu langweilen. Torsten Seewitz, 04.07.2003
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