Zur Startseite

Bliss Broyard
"Mein Vater tanzend"
Aus dem Amerikanischen von Monika Schmalz
Berlin Taschenbuchverlag 2002
254 S.; 8,90 Euro

Es sei vorweg bemerkt - dies ist ein wunderbares Buch, voller Leichtigkeit und Gefühl, brillant erzählt. Geschrieben hat es Bliss Broyard, die Tochter des bekannten Literaturkritikers Anatole Broyard und man könnte zurecht annahmen, dass ihr Vater nach der Lektüre der acht Erzählungen stolz auf sie gewesen wäre. 
Nicht zu sehr aus eigener Eitelkeit, denn die ersten beiden Geschichten "Meine Vater, tanzend" und "Herr Unverschämt süß" thematisieren deutlich die schwierige Vater-Tochter-Beziehung, die trotz aller Ambivalenz von gegenseitiger Zuneigung und Achtung getragen war, sondern auf Grund des schriftstellerischen Talents seiner Tochter. 
Dies tritt vor allem in der titelgebenden Erzählung deutlich hervor, in der die Autorin die ersten Tanzversuche mit ihrem Vater unter den kritischen Augen ihrer Mutter schildert. "Auf all den Tanzflächen, über die Jahre hinweg, erzählten wir uns mehr über einander als in jedem Gespräch.", schreibt sie an einer Stelle. Doch die heile Welt bekam durch die Krebserkrankung des Vaters einen Riss. Jetzt war sie diejenige, die stark sein und den Vater aus dem Tief der Krankheit herausführen musste. 
Kunstvoll verwebt Bliss Broyard ihre Erinnerungen an den Vater mit dem Fortschreiten seiner unheilbaren Krankheit. Aus den schönen Momenten des über die Jahre zusammen Erlebten schöpfen beide ihre Kraft für den letzten gemeinsamen Weg, der durch den Tod des Vaters sein Ende findet. Neben der eigenen Verletzbarkeit thematisiert die Autorin hier vor allem die eigene Sprach- und Hilflosigkeit im Angesicht des Todes eines nahestehenden Menschen. 
Doch nicht alle Erzählungen enden so tragisch, vielmehr handeln sie von den Schwierigkeiten, die junge Frauen so mit ihren Vätern haben. In "Die Sache mit Mr. Leopold" zeigt sich die Ich-Erzählerin ob der angeblichen Imageberatungen des Mr. Leopolds sichtlich empört. Dieser alte Herr bot allen Mädchen eines Schuljahrgangs regelmäßig kostenfreie Typberatungen gab. Ob sie immer nützlich waren, sei dahingestellt, jedoch nutzte der alte Herr schamlos seine autoritäre Stellung aus, um sich am Anblick der jungen Damen zu ergötzen. Unsere Ich-Erzählerin war jedenfalls vom Urteil Mr. Leopolds sichtlich betrübt, wollte es jedoch nicht zu Hause erzählen, da sie wusste, dass ihr Vater jede Anmerkung ihres Lehrers der Lächerlichkeit preisgeben würde. 
Schlimmer wäre noch, wenn er erfuhr, dass sie ihren Rock ein wenig hochziehen musste, damit er ihre Knie besser beurteilen konnte. Wie zu erwarten, führte die Verheimlichung dieses Umstandes irgendwann zur Katastrophe, denn Geheimnisse konnten ja nicht ewig im Verborgenen bleiben. 
Bliss Broyard erzählt souverän und äußerst unterhaltsam von den Schwierigkeiten, erwachsen zu werden, vom Aufflammen und Zerbrechen der ersten Liebe und den ersten Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Erwachsenen, von der Verlogenheit bürgerlicher Spießigkeit und dies immer im Spiegel der Beziehung zu den Vätern. 
"Mein Vater, tanzend" ist ein bezauberndes Stück Literatur, welches die Hoffung aufkeimen lässt,  bald einmal mehr von der Autorin lesen zu können. © Torsten Seewitz, 17.03.2003 

Buch bei amazon.de bestellen

Kommentar schreiben Kritik ausdrucken

WEITERE BUCHTIPPS FINDEN SIE UNTER BÜCHERBORD - DAS ARCHIV