Es sei
vorweg bemerkt - dies ist ein wunderbares Buch, voller
Leichtigkeit und Gefühl, brillant erzählt. Geschrieben
hat es Bliss Broyard, die Tochter des bekannten
Literaturkritikers Anatole
Broyard und man könnte zurecht annahmen, dass ihr
Vater nach der Lektüre der acht Erzählungen stolz auf
sie gewesen wäre.
Nicht zu sehr aus eigener Eitelkeit, denn die ersten
beiden Geschichten "Meine Vater, tanzend" und
"Herr Unverschämt süß" thematisieren
deutlich die schwierige Vater-Tochter-Beziehung, die
trotz aller Ambivalenz von gegenseitiger Zuneigung und
Achtung getragen war, sondern auf Grund des
schriftstellerischen Talents seiner Tochter.
Dies tritt vor allem in der titelgebenden Erzählung
deutlich hervor, in der die Autorin die ersten
Tanzversuche mit ihrem Vater unter den kritischen Augen
ihrer Mutter schildert. "Auf all den Tanzflächen,
über die Jahre hinweg, erzählten wir uns mehr über
einander als in jedem Gespräch.", schreibt sie an
einer Stelle. Doch die heile Welt bekam durch die
Krebserkrankung des Vaters einen
Riss. Jetzt war sie diejenige, die stark sein und den
Vater aus dem Tief der Krankheit herausführen
musste.
Kunstvoll verwebt Bliss Broyard ihre Erinnerungen an den
Vater mit dem Fortschreiten seiner unheilbaren
Krankheit. Aus den schönen Momenten des über die Jahre
zusammen Erlebten schöpfen beide ihre Kraft für den
letzten gemeinsamen Weg, der durch den Tod des Vaters
sein Ende findet. Neben der eigenen Verletzbarkeit
thematisiert die Autorin hier vor allem die eigene
Sprach- und Hilflosigkeit im Angesicht des Todes eines
nahestehenden Menschen.
Doch nicht alle Erzählungen enden so tragisch, vielmehr
handeln sie von den Schwierigkeiten, die junge Frauen so
mit ihren Vätern haben. In "Die Sache mit Mr.
Leopold" zeigt sich die Ich-Erzählerin ob der
angeblichen Imageberatungen des Mr. Leopolds sichtlich
empört. Dieser alte Herr bot allen Mädchen eines
Schuljahrgangs regelmäßig kostenfreie Typberatungen
gab. Ob sie immer nützlich waren, sei dahingestellt,
jedoch nutzte der alte Herr schamlos seine autoritäre
Stellung aus, um sich am Anblick der jungen Damen zu
ergötzen. Unsere Ich-Erzählerin war jedenfalls vom
Urteil Mr. Leopolds sichtlich betrübt, wollte es jedoch
nicht zu Hause erzählen, da sie wusste, dass ihr Vater
jede Anmerkung ihres Lehrers der Lächerlichkeit
preisgeben würde.
Schlimmer wäre noch, wenn er erfuhr, dass sie ihren
Rock ein wenig hochziehen musste, damit er ihre Knie
besser beurteilen konnte. Wie zu erwarten, führte die
Verheimlichung dieses Umstandes irgendwann zur
Katastrophe, denn Geheimnisse konnten ja nicht ewig im
Verborgenen bleiben.
Bliss Broyard erzählt souverän und äußerst
unterhaltsam von den Schwierigkeiten, erwachsen zu
werden, vom Aufflammen und Zerbrechen der ersten Liebe
und den ersten Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der
Erwachsenen, von der Verlogenheit bürgerlicher
Spießigkeit und dies immer im Spiegel der Beziehung zu
den Vätern.
"Mein Vater, tanzend" ist ein bezauberndes
Stück Literatur, welches die Hoffung aufkeimen
lässt, bald einmal mehr von der Autorin lesen zu
können. © Torsten Seewitz, 17.03.2003 |