Wie soll man bestehen in einer Welt, in der die
Gegenwart das Vergangene nicht vergessen macht und Fragen
nach dem Warum keine Antwort finden? Wenn das Trauma des
Holocaust jedes Wort vor Ohnmacht ersterben läßt? Nur
mühsam drängen schmerzliche Erinnerungen an eine grausame Zeit in das Bewußtsein.
Robert Bober nimmt in seinem aktuellen Roman "Berg
und Beck", erschienen im Verlag Antje Kunstmann, die
Last dieser Erinnerungsarbeit auf sich. Episodenhaft
verbindet er die schicksalhaften Biographien von Menschen,
denen ihre jüdische Herkunft in den Zeiten der
faschistische Besatzung Frankreichs zum Verhängnis wurde.
Allen gemein ist der Verlust eines geliebten Menschen, der
Eltern oder eines Freundes.
Joseph Berg, Protagonist dieses Romans, arbeitet als
Erzieher im jüdischen Waisenheim von Andrésy. Die Eltern
der Kinder sind Opfer des Holocaust. Täglich wird er mit
den traumatischen Erlebnissen der Kinder und der
individuellen Aufarbeitung des Verlustes konfrontiert.
Behutsam erzählt Bober diese verstörenden Geschichten,
die sprachlos machen und irritieren. Ein Buch über die
Freundschaft und den Tod, aber auch über die Hoffnung auf
einen Neuanfang nach all dem Schrecken der Vergangenheit.
Indem er Geschichte personifiziert, läßt er den
Einzelnen aus der Masse der anonymen Opfer heraustreten.
In Erinnerung bleibt vor allem die Geschichte von Nathan,
der bei seinem Onkel lebte und in dessen Schuhgeschäft
arbeitete. Regelmäßig gestaltete er das Schaufenster des
Ladens, bis er eines Tages, zum Entsetzen seines Onkels,
statt der üblichen Dekoration einen Berg Schuhe
auftürmte. Herrenschuhe, Damenschuhe und Kinderschuhe in
einem scheinbaren Chaos, gleich dem, welches er auf Fotos
aus Auschwitz gesehen hatte. "Erinnere dich deines
Lebens", hatte ihm sein Onkel einst gesagt. Nichts
anderes hatte er getan. Trauer um den Verlust der
geliebten Eltern, die deportiert wurden und niemals
zurückgekehrt sind.
Auch Joseph Berg hat den Verlust seines Schulfreundes
Henri Beck noch nicht überwunden, der 1942 während der
Juden-Verfolgung in Paris mit seinen Eltern verschleppt
wurde. Er schreibt Briefe an den Toten. Briefe, die den
Adressaten nie erreichen und nur einen einzigen Zweck
verfolgen, die Erinnerung an den Freund zu bewahren.
"Ja, ich werde dir weiter schreiben, da du
anscheinend nur lebendig bist, weil ich noch lebe."
Die Toten leben in der Erinnerung der Überlebenden.
"Berg und Beck" ist dennoch kein Roman der
Resignation. Er schildert vielmehr eine Jugend der
Nachkriegszeit auf der Suche nach dem Stück Normalität
im Alltag. Geradezu schwärmerisch läßt Bober seine
Hauptfigur Berg von dessen Leidenschaften für Jazzmusik
,die Tour de France oder die Filme der Marx Brothers
erzählen. In diesen Passagen gewinnt das Buch die
Stärke, die den Leser bei aller Betroffenheit nicht
hoffnungslos in die Realität entläßt.© Torsten
Seewitz, 27.06.2000 |