In
einer medial überfluteten Zeit, in der auch der
entfernteste Ort auf den Bildschirm im eigenen
Wohnzimmer geholt werden kann, werden Abenteu(r)er
selten. Was gibt es denn schon Neues zu entdecken, jeder
Winkel der Welt scheint, wenn ach nur virtuell,
erreichbar. So verwundert es um so mehr, dass sich ein
Mensch unserer Tage aufmacht, um die Strecke von Berlin
nach Moskau zu Fuß zurück zu legen. Dieser Entschluss
verdient uneingeschränkten Respekt, gilt es doch eine
Entfernung von über 1500 Kilometern ohne die vertrauten
Verkehrsmittel zu überwinden. Doch was treibt jemanden
freiwillig zu solcher Aktion?
Es war wohl nicht nur die Lust am Entdecken unbekannter
Landstriche, sondern auch das Interesse an den
unentdeckten biographischen Landschaften der Menschen,
die ihm auf seinem Weg begegneten. Gerade diese Erzählungen
sind es, die Büschers Buch einen besonderen Reiz
verleihen, denn sie lassen die Wunden, die gerade die
Deutschen dem polnischen und russischen Volk zugefügt
haben, wieder sichtbar werden. Zudem bewegt sich der
Autor auf historischen Pfaden, denn bereits Napoleon und
Hitlers Heeresgruppe Mitte nutzten diese kürzeste
Entfernung um in den Osten zu gelangen.
Es war Sommer
in Berlin, als sich Wolfgang Büscher im Jahr 2001
aufmachte, um die beschwerliche Reise auf sich zu nehmen
und es sollte Herbst werden, bis er Moskau erreichen würde.
Gleich zu Beginn führt ihn der Weg durch die Seelower Höhen,
dem letzten großen Schlachtfeld zwischen der
Sowjetarmee und den deutschen Streitkräften vor der
Eroberung Berlin im Mai 1945.
Es sind vor allem diese Erinnerungen an den unsäglichen
2.Weltkrieg, die den Menschen, die Büscher während
seiner Reise traf, nachgehen. Auch 60 Jahre nach
Kriegsende sind die seelischen Wunden noch nicht
verheilt. Da ist zum Beispiel die Geschichte der
selbstlosen, geheimnisvollen polnischen Gräfin, die es
schaffte, ihren Ehemann vor dem sicheren Tod durch
Erschießung zu bewahren und dann später im Untergrund
gegen die deutschen Besatzer kämpfte. Oder die Erzählungen
eines alten Mannes, der von Büscher befragt,
bereitwillig und voller Stolz von seiner Partisanenzeit
erzählte. Nicht nur die Deutschen mordeten, erinnert er
sich, sondern auch die eigenen Leute. So wurde seine große
Liebe, ein junges Mädchen, erschossen, weil man deren
Vater beschuldigte, Informationen über
Partisaneneinheiten an die Deutschen verraten zu haben.
Neben den zahlreichen Erinnerungen an vergangene Zeiten,
zeichnet sich Büchers Buch vor allem dadurch aus, dass
er sich der historischen Bedeutung seiner Reiseroute
zwar bewusst ist, jedoch seinen Blick ebenso auf den
Alltag der Menschen in Polen, Weißrussland und Russland
richtet. So erzählt er von Schmuggelaktionen weißrussischer
Hausfrauen an der polnisch-weißrussischen Grenze oder
vom Trauma Tschernobyl und den katastrophalen Folgen für
Mensch und Natur, aber auch von Ressentiments gegenüber
ihm als Deutschen. Zum Glück musste er diese Abneigung
nur selten spüren. Nur einmal geriet er in eine gefährliche
Situation, die jedoch glimpflich endete.
Es grenzt an ein Wunder, dass Wolfgang Büscher es
letzten Endes geschafft hat, das ersehnte Moskau zu
erreichen, denn manchmal schienen die Strassen kein Ende
zu nehmen. Auch die Nächte in den verschiedensten
Herbergen, die in keiner Weise den
westeuropäischen Komfortmaßstäben entsprachen,
brachten kaum genug Erholung, um Kräfte zu sammeln.
Schade nur, dass die Schilderungen des Autors so abrupt
am lang ersehnten Ziel seiner Reise enden. Über Moskau
hätte ich mir mehr Eindrücke und Informationen gewünscht.
Aber dies war vielleicht nicht Anliegen des Buches.
Torsten Seewitz, 03.07.2003 |