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J.M. Coetzee
"Warten auf die Barbaren"

Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke
S. Fischer Verlag Frankfurt/M. 2001
285 Seiten, € 19,90

Mit der Veröffentlichung des Romans "Schande" gelang es dem S. Fischer Verlag im vergangenen Jahr einen der renommiertesten Autoren Südafrikas einer großen Leserschaft zugänglich zu machen. Dies mag verwundern, wurden doch bereits mehrere Bücher J. M. Coetzees in deutscher Sprache publiziert, von denen "Leben und Zeit des Michael K.", wie auch der Roman "Schande", mit dem "Booker-Prize" ausgezeichnet wurde. 
Mit "Warten auf die Barbaren" (1980) wird dem deutschsprachigen Lesepublikum nunmehr ein Frühwerk Coetzees
in einer neuen Übersetzung wieder zugänglich gemacht. Der Autor führt den Leser in eine scheinbar ferne Wirklichkeit von kafkaesker Gestalt. Festungsähnliche Städte dienen dem großen Reich in den Grenzdistrikten als Abwehr gegen die vermeintliche Bedrohung durch die Barbaren, friedliche Nomadenstämme, die in unmittelbarer Nähe zu den Städten leben. 
Der Protagonist des Romans, Magistrat einer solchen Grenzstadt, hat über viele Jahre hinweg in den Nomaden keine ernsthafte Bedrohung für das Reich gesehen. Entgegen den Bestrebungen der Regierung des großen Reiches, die vermeintlichen Feinde abzuwehren, versuchte er mit ihnen friedlich zusammenzuleben. So war es nur eine Frage der Zeit, bis eine Spezialeinheit der Sicherheitspolizei in der Stadt eintrifft, um den Beweis für die feindliche Gesinnung der "Barbaren" zu erbringen. Der Magistrat wird wehrlos Zeuge, wie die unschuldigen Nomaden gefangengenommen und unter Folter gezwungen werden, sich als Feinde des Reiches zu erklären. Von Abscheu gegen dieses Vorgehen getragen, unternimmt er letztendlich den hilflosen Versuch, eine der Gefangenen zu ihrem Volk zurückzubringen. 
Wieder zurückgekehrt, wird sein Märtyrertum von der Staatspolizei mit Inhaftierung, öffentlicher Demütigung und erbarmungsloser Folter bestraft. 
Coetzee führt den Leser in eine abgestumpfte, graue Welt, in welcher der Einzelne im Diffusen der Masse untergeht. Erbarmungslos und roh gehen die selbsternannten Richter des Staates gegen Andersdenkende vor, erpressen mit Folter wertlose Geständnisse, um der eigenen Bestätigung Willen. Unweigerlich tauchen beim Lesen die Bilder des südafrikanischen Apartheidsystems auf, dessen brutale Trennung von Menschen allein wegen ihrer Hautfarbe und andersartigen Kultur als Folie für die Romanhandlung dienen könnte. 
Nahezu erschreckend emotionslos beschreibt Coetzee ein unmenschliches System, dessen paranoide Allmachtphantasien Unglück und Verderben über die Menschheit bringen. Es obliegt allein den Machtinhabern zu entscheiden, wer zum Unmenschen degradiert wird. Und gerade dieses Ausgeliefertsein gegenüber den Mächtigen wird durch den nahezu protokollarisch distanzierten Erzählstil für den Leser nachvollziehbar. Trotz aller spürbaren Ohnmacht siegt dennoch die Erkenntnis, dass es allein die Vollstrecker des Reiches sind, die durch ihr inhumanes Verhalten zu Unmenschen werden.
So betrachtet ist "Warten auf die Barbaren" eine beeindruckend erzählte Parabel über Macht und Ohnmacht des Einzelnen unter den Bedingungen der Diktatur. © Torsten Seewitz, 16.07.2001 

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