„Das
Leben ändert sich in einem Augenblick. In einem alltäglichen
Augenblick.“
Als Joan Didion diese Worte im Januar 2004 in ihrem
Computer schrieb, war ihr Mann, der Schriftsteller John
Gregory Dunne, seit wenigen Tagen tot. Ganz unerwartet
war er gestorben, an einem Herzinfarkt, kurz nachdem sie
von einem Besuch bei ihrer Tochter Quintana, die mit
einer rätselhaften Krankheit im Hospital lag, zurückgekehrt
waren. „Das
Leben ändert sich in einem Augenblick“. Ein Satz,
einfach so dahingesagt, wie eine nüchterne Feststellung
klingend und dem, leitmotivisch Joan Didions Buch
durchziehend, dennoch etwas Bedeutungsschweres anhaftet.
Es ist gerade diese Ambivalenz, die auszudrücken
vermag, wie schwer es der Autorin fällt, den Verlust
ihres geliebten Ehemannes in Worte zu fassen. Antworten
auf die quälende Frage
Warum? sucht sie vor allem in Büchern, wie der „Geschichte
des Todes“ von Philippe Ariés, in Schriften des
Sozialanthropologen Geoffrey Gorer und, im völligen
Gegensatz hierzu, im „Buch
der Etikette“ von Emily Post aus dem Jahre 1922.
Doch hilft all das Gelesene nicht über den Schmerz des
Verlustes hinweg. Und in die Trauer mischt sich immer
wieder die Angst um das Leben ihrer Tochter, deren
Gesundheitszustand mehrmals krisenhaft erschüttert
wird.
Im mühsamen Rekapitulieren der letzten Minuten im Leben
ihres Mannes versucht Joan Didion zu verstehen, was an
diesem Abend des 30. Dezember 2003 passiert ist. Hat sie
irgendeinen wichtigen Hinweis übersehen? Hat sie eine
Bemerkung ihres Mannes nicht ernst genug genommen?
Selbstzweifel lähmen tagelang ihren Verstand, lassen
sie ihre Umwelt wie durch eine Milchglasscheibe
wahrnehmen. Erst das Obduktionsergebnis gibt ihr die
Gewissheit, dass jede Hilfe, die ihren Mann auch noch so
rechzeitig erreicht hätte, vergebens gewesen wäre.
Joan Didions Erinnerungen mit dem poetischen Titel
„Das Jahr magischen Denkens“ wurde in den USA mit
dem National Book Award ausgezeichnet und mit
Lobeshymnen geradezu überschüttet. Ein besonderer
Erfolg für ein Buch, welches sich unpopulären Themen
wie Sterben und Trauer zuwendet, aber auch ein Zeichen
dafür, wie tief die Betrachtungen der Autorin ihre
Leser berühren.
Selten hat ein Schriftsteller derart eindrucksvoll das
Gefühl der Leere nach dem Verlust eines geliebten
Menschen und den schmerzvollen Prozess der Trauer
beschrieben. Torsten Seewitz, 23.10.2006 |