Als
ihre Freundin Roos vollkommen unerwartet kurz vor ihrem
dreiundvierzigsten Geburtstag an einem Sonnenstich
starb, war Leonie Kuypers einzige Sorge, welches Kleid
sie zur Beerdigung anziehen sollte. Man mag solche
Reaktionen auf den Tod eines nahestehenden Menschen als
irrational bezeichnen, doch kann man es auch als eine
Art Verdrängungsmechanismus verstehen, sich in Zeiten
größter seelischer Not mit eben diesen
Nebensächlichkeiten zu beschäftigen. Leonie und Roos
standen sich sehr nahe, ähnlich unzertrennlichen
Zwillingsschwestern - Roos, der geheimnisvolle Vamp und
Leonie als stilles Mauerblümchen. Ergänzt haben sie
sich perfekt.
Als Leonie vom Notar ihrer verstorbenen Freundin erfuhr,
dass sie zur Alleinerbin unter der Bedingung ernannt
wurde, sich um die drei Katzen Tijg, Ober und Lellebel
zu kümmern und sie zu diesem Zweck in das
Eigentumsappartement einziehen sollte, nährten sich in
Leonie Zweifel, wo Roos
all das viele Geld her hatte, um sich diesen Luxus
leisten zu können. Hat sie vielleicht mit Drogen
gedealt oder sich sogar gegen Bares an Männer
verkauft? Soviel stand für Leonie jedenfalls
fest, dass es sich bei dem angeblichen Sonnenstich um
keinen Unfall handeln konnte. Doch würde ein Mord, wie
auch immer motiviert, schwer nachzuweisen sein.
Es dauerte nicht lange, bis sich Personen aus Roos
Lebensumfeld einfanden, die ebenfalls nicht an einen
Unfall glauben wollten. So zum Beispiel Freek, der mit
ihr regelmäßig in einem dubiosen Club verkehrte oder
der alte Mastenbroek, ein Spanner, der Roos seit Jahren
heimlich bei ihren Sonnenbädern am Strand gefilmt
hatte. Und wieso reagierten alle so gereizt, wenn
sie versuchte, sich wie Roos zu geben? Deren Notar
meinte, dass es für die Katzen nur gut sein kann, wenn
sie sich wie ihre Freundin schminkte und kleidete. Sie
würden sie dann weniger vermissen. Den Katzen schien
das Verkleidungszeremoniell jedoch egal zu sein,
vielmehr sorgte sie bei ehemaligen Kollegen für
Verwirrung. Doch weshalb reagierten diese so gereizt?
Nach "Das Wüten der ganzen Welt" begibt sich
Maarten 't Hart wieder in die Welt des Kriminalromans,
jedoch nicht mit den Augen eines Kindes betrachtet,
sondern aus der Sicht einer Frau geschrieben. Kein
gewiefter Kommissar ermittelt hier in einem möglichen
Mordfall, sondern Leonie Kuyper, vom Beruf Übersetzerin
und Aushilfslehrerin für Französisch. Entgegen aller
Vorurteile, die man gegen solchen Rollentausch hegen
kann, beeindruckt es um so mehr, wie lebendig und
kenntnisreich der Autor die Welt mit der Augen einer
Frau betrachten kann.
Wie in seinen früheren Büchern gelingt es dem Autor
vortrefflich, den Leser wieder mit in eine Welt
hineinzunehmen, in der aller äußerer Schein trügt und
sich hinter den Masken der Menschen Abgründe auftun. Es
ist dieser typische "'t Hart-Sound", der seine
Romane, und vor allem "Die Sonnenuhr"
unverwechselbar macht, diese Mischung aus ironischer
Betrachtungsweise und melancholischen Anklängen gepaart
mit einer Vielzahl von Sentenzen aus Literatur und
Musik.
Wer die anderen Bücher des Autors mochte, wird auch
seinem aktuellen Roman gewiss einen Ehrenplatz im
Büchereregal zukommen lassen. |