"Ich
hätte die Erbschaft nicht antreten dürfen, damit fing
es an, dieses Haus hat schon andere vor mit nicht
glücklich gemacht ...", denkt Kurt Weber, als er
sich im Rückblick seines Umzuges nach Landskron
erinnert. Irgendwie fühlte er sich von Beginn an von
den Nachbarn abgelehnt, die den Fremden in ihrer Mitte
argwöhnisch beobachteten.
Das Haus, dem Verfall nahe, bedurfte einer dringenden
Sanierung, doch traten für Kurt Weber bald andere Dinge
in den Vordergrund.
Eines Tages betrat eine alte Frau das abgelegene Haus
und begab sich, scheinbar
mit den Örtlichkeiten vertraut, in ein Zimmer, welches
Weber nur als "Ludwigs Zimmer" kannte. Doch in
seiner Verwandtschaft gab es niemanden mit diesem
Namen.
Die fremde Frau kam täglich wieder und verbrachte den
ganzen Tag in diesem Zimmer, bis sie zum Abend, fast wie
ein Geist, wieder verschwand. Weber begann sich an diese
mysteriöse Frau zu gewöhnen, bald nahm er ihre Besuche
als Selbstverständlichkeit hin.
Erst die Gespräche mit seinem schwerkranken Nachbarn,
der ihm als einziger wohlwollend begegnete, bringen ihm
Antworten auf Fragen, die über die Jahre niemand
beantworten konnte und wollte.
Es war die Zeit des Nationalsozialismus in Österreich,
als sich auch in der Kärntner Bergwelt Widerstand gegen
das nazistische Regime regte. Ludwig gehörte zu einem
Freundeskreis, den Webers Onkel und der Nachbar
angehörten und der durch Verrat in seinem Versteck
aufgefunden wurde. Er wurde in ein Konzentrationslager
ganz in der Nähe seines Wohnortes deportiert,
überlebte jedoch die Qualen des Arbeitsdienstes. Doch
zu keinem seiner Freunde nahm er nach dem Krieg jemals
wieder Kontakt auf.
Erst die Erinnerungsarbeit der seltsamen Frau in seinem
Haus und des Nachbars, lässt Kurt Weber tiefer und
tiefer in eine Geschichte von Freundschaft, Liebe und
Verrat eintauchen, die wie ein Albtraum auf seiner Seele
lastet.
Alois Hotschnig hat mit "Ludwigs Zimmer" einen
außergewöhnlichen Roman geschrieben, der jedoch nicht
nur aufgrund seines Themas besticht, sondern dessen
geschliffene und intensive Sprache, eine ungeheure
Wirkung auf den Leser ausübt. Er versteht es
vortrefflich, das Bedrückende, Albtraumhafte des Romans
in Worte und sprachliche Bilder zu fassen, die genau
diese bedrückende Stimmung der schmerzhaften
Erinnerungsarbeit widerspiegeln. In magischen Bildern
lässt der Autor seinen Protagonisten nahezu surreale
Welten durchschreiten, die einem beim Lesen gefangen
nehmen und zugleich irritieren.
Ein verstörendes und ob seines brillanten Stils
beeindruckendes Buch.
© Torsten Seewitz, 05.12.2002 |