Der
Entdeckungslust Hans Magnus Enzensbergers sei Dank, dass der Roman „Leibspeise“ des Dänen
Kristian Ditlev Jensen den Weg zu einem
deutschsprachigen Verlag gefunden hat. Denn ursprünglich
sollte dieses Buch in einer neuen Edition Enzensbergers
bereits im vergangenen Jahr erscheinen. Doch die
deutsche Gerichtsbarkeit erwies sich mal wieder als „Literaturverhinderer“,
indem sie das Projekt stoppte.
Nun erschien dieser kongeniale Roman im Hamburger Verlag
„Hoffmann und Campe“ und wird hoffentlich eine
zahlreiche Leserschaft finden. Denn diese wird in
Jensens Roman, sofern sie sich auf die Geschichte einlässt,
eine Sprachfeuerwerk der Sinneslust entdecken können,
welches in ähnlicher Intensität selten zu erleben ist.
Kristian Ditlev Jensen, dessen erschütterndes
Erinnerungsbuch „Ich werde es sagen“ vor zwei Jahren
bei Klett-Cotta erschien, erzählt in „Leibspeise“
die Geschichte des
Restaurantkritikers Robin McCoy. Es liegt in der Natur
seines Berufes, dass gerade die Sinne Riechen und
Schmecken am deutlichsten ausgeprägt sind, dienen sie
ihm doch als sensible Antennen, um kulinarische Genüsse
aufzuspüren.
Seit dem Suizid seiner japanischen Ehefrau Midori stürzt
er sich in ein Meer aus Arbeit, um zu vergessen, die
Trauer zu verdrängen. Von Schuldgefühlen geplagt,
versucht er ihre kranke Seele zu verstehen, wirft sich
vor, versagt und ihre Hilferufe nicht verstanden zu
haben. Ruhelos begibt er sich auf ausgedehnte Reisen
quer über alle Kontinente, doch egal wohin er gerät,
erinnern ihn kleinste Begebenheiten und scheinbar
belanglose Dinge an den Verlust seiner Frau.
Jensen versteht es auf nahezu unnachahmliche Weise,
dieser Suche nach Antworten eine Sprache zu verleihen,
deren Wirkung vor allem in der treffenden Beschreibung
sinnlicher Erfahrung besteht. So beschreibt er, um nur
ein Beispiel zu nennen, die mannigfaltigen
geschmacklichen Nuancen einer Erdbeere (S. 23) derart
eindrücklich, dass man beim Lesen meint, tatsächlich
an dieser olfaktorischen und gustatorischen
Erkundungsreise teilzunehmen.
Dieses Buch feiert ein Fest der Sinne und beweist, auch
Dank der großartigen Übersetzung durch Sigrid Engeler,
welch magische Kraft geschriebenen Wörtern innewohnt.
Eine Kraft, deren soghafte Wirkung den Leser
unvermeidlich in ihren Bann zieht und ihn in eine Welt
entführt, die ihm sonst verschlossen bliebe.
Torsten Seewitz, 11.09.2006
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