Waren
die früheren Veröffentlichungen, z.B. "Der fernste
Ort", Daniel Kehlmanns bereits von Erfolg gekrönt,
und gäbe es eine Gesetzmäßigkeit, nach der sich
dieser Erfolg kontinuierlich steigern ließe, so wäre
Kehlmann ein Beleg für deren Existenz. Denn mit „Ich
und Kaminski“ ist ihm ein wunderbar leicht erzählter
und ungemein ironischer Roman über die Abgründe der
ach so schillernden Künstlerwelt gelungen.
Der Ich-Erzähler, Sebastian Zöllner, versucht sich
nach seinem Kunstgeschichtsstudium mit
Gelegenheitsarbeiten über Wasser zu halten. Als er
eines Tages den Auftrag erhält, eine Biographie über
den Maler Kaminski zu schreiben, denkt er, in die
bislang unerreichbare Welt der Künstler vordringen zu können.
Kaminski, dessen Stern längst verloschen, wurde einst
von Matisse protegiert und mit einem Gemälde berühmt, welches die Unterschrift „Painted by a blind man“ trug.
Mittlerweile lebt er zurückgezogen in den Alpen,
abgeschirmt von einem recht zweifelhaften Freundeskreis,
der die Aura des bedeutungsvollen Malers aufrecht zu
erhalten versucht.
Äußerst
trickreich gelingt es Zöllner, bis in die Wohnung
Kaminskis vorzudringen. Obgleich dieser weiß, dass Zöllner
seine Biographie verfassen soll, begegnet er ihm, wie
seine gesamte Equipage mit kühler Ablehnung. Doch Zöllner,
man mag es selbstbewusst nennen, ignoriert derlei
Feindseligkeiten und lässt sich nicht beirren, den großen
Meister interviewen zu wollen. Er hatte mit vielen
seiner Zeitgenossen, ob Freund oder Feind gesprochen,
und dachte, er kenne Kaminski bereits ein wenig. Jedoch
weit gefehlt
Nachdem der Biograph so schmählich abgewiesen wurde,
gelingt es ihm tags darauf auf abenteuerliche Weise
erneut in das geheimnisvolle Reich des Malers
vorzudringen. Unter dem Vorwand, seine alte Jugendliebe
aufzuspüren, schafft es Zöllner, den blinden Mann aus
dem Haus zu locken. In der Hoffung, er erhalte somit
intimere Informationen über das ereignisreiche Leben
Kaminskis, begibt sich dieses so ungleiche Paar auf eine
verhängnisvolle Autoreise mit ungewissem Ausgang.
Zöllner ist blind vor Erfolgszwang und merkt nicht, wie
der alte Mann, sich in seiner Rolle als umschwärmter Künstler
gefallend, ihn zunehmend seinerseits austrickst. Bis zu
jenem Tag in einer Münchener Galerie, als Zöllner stolz
seine Begleitung, den bekannten Maler, allen Gästen präsentieren
will.
Vor allem in dieser Szene entfaltet Daniel Kehlmann sein
Können, mit entlarvendem Blick hinter die Kulissen
einer Welt zu schauen, in der der Schein mehr bedeutet
als das Sein. Er entfaltet vor dem inneren Auge des
Lesers eine tragikomische Szenerie, die betroffen macht
und zugleich die Bestätigung jener Klischees bedient,
die gemeinhin mit der versnobten und verlogenen
Scheinwelt der Schickeria verbunden werden.
Man wünscht sich am Ende des Buches, mehr von dem Autor
lesen zu wollen. Und vielleicht müssen wir auch nicht
all zu lang warten. Denn fernab jener narzisstischen
Nabelschau so manchen Jungautors hat es Daniel Kehlmann
geschafft, obwohl erst Jahrgang 1975, sich in die
vordere Riege der erfolgreichen deutschsprachigen
Autoren zu schreiben. © Torsten Seewitz, 29.04.2003 |