Als 1991 die Islamischen Heilsfront in Algerien die
Parlamentswahlen gewann, wurde sie vom Militär beherrschten
Obersten Staatsrat verboten. Eine Entscheidung mit schweren
Folgen für die algerische Demokratie, denn fortan versuchte
die Heilsfont ihre politischen
Interessen mit Terrorakten aus dem Untergrund durchzusetzen.
Die Kämpfe zwischen Regime und Islamisten eskalierten und
forderten bis 1999 mehr als 80000 Tote.
Vor diesem Hintergrund entstand der Roman "Wovon die
Wölfe träumen" des algerischen Schriftstellers und
ehemaligen Militärs Mohammed Moulessehoul, der diesen, aus
Schutz vor Repressalien, noch unter dem Pseudonym Yasmina
Khadra veröffentlichte.
Der Held seines Romans Nafa Walid steht stellvertretend für
Tausende junger Männer, die
die für das Ideal eines
islamisch geführten Staates ihre Moral und letztendlich auch
ihr Leben opferten.
Eigentlich hatte Nafa keinen Grund unglücklich zu sein, denn
seinem Traum von einer Karriere als Schauspieler war er
bereits ein Stück näher gekommen, als er eine, wenn auch
kleine Rolle, in einem Spielfilm annahm. Doch zum
Geldverdienen reichte sein Talent wohl nicht. Und so war es
ein Glücksfall, als er eine Anstellung als Chauffeur in einer
der reichsten Familien Algiers bekam. Nafa war zufrieden mit
seiner Arbeit, bis er eines Nachts zu seinem Juniorchef
gerufen und gezwungen wird, die Spuren des Todes einer
Prostituierten zu beseitigen, die an einer Überdosis Heroin
in dessen Bett gestorben ist. Gegen seinen Willen muss er mit
ansehen, wie der Toten das Gesicht mit einem Stein
zertrümmert und sie anschließend in einem Waldstück
verscharrt wird. Wegen seines Protestes wird Nafa vom Fahrer
des Juniorchefs halb tot geprügelt und er kann sich nur
mühsam zu seinem Elternhaus zurückschleppen. Dieses Erlebnis
wirkt für Nafa noch lange Zeit traumatisierend. In seinem
Kummer vertraut er sich dem Muezzin der Moschee an, der ihm,
nicht uneigennützig, aus seinem Tief heraushilft und ihn für
die Ideal eines islamische geführten Staates begeistert, in
dem zum Beispiel solch amoralisches Leben unter strenge Strafe
gestellt wird. Wenig später findet sich Nafa in den
Besprechungen der islamischen Untergrundkämpfer wieder.
Anfänglich nur als Kurierfahrer für die Familie deportierter
Untergrundkämpfer tätig, stellt er später über seinen
ersten Mord emotionslos fest: "Ich habe meinen ersten
Mann am Mittwoch, den 12. Januar 1994, morgens um 7 Uhr
35 getötet. Er war Anwalt." Endlich bekam er die
Anerkennung, die er bislang vermisste und sein Leben hatte
wieder ein Ziel.
Unaufhaltsam schien sein Aufstieg in den Terrorbanden, die
sich erbitterte Schlachten mit den Spezialeinheiten der
Regierung lieferten. Rücksichtslos begann Nafa in einem
wahren Blutrausch zu morden, einstige Ideale und Träume
längst verdrängt.
Mit einer partiell sehr sachlichen Sprache versucht Khadra,
die eigentlich unbeschreiblichen Grausamkeiten des Krieges in
Worte zu fassen und den langsamen Abstieg Walids in die
Niederungen einer von blindem Hass getragenen Moral
mordlüsterner Krieger, die das Ziel ihrer Kämpfe schon
längst verloren haben, zu beschreiben. Er erzählt, ohne
groß zu Psychologisieren, denn das Erzählte spricht für
sich und ist als Text Anklage genug.
Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag, uns Europäern die
Wurzeln und die Folgen von religiösen Fanatismus nähe
zu bringen. © Torsten Seewitz, 22.04.2002
|