Warum
vernachlässigt eine Mutter ihre Kinder oder tötet sie
gar, indem sie sie in der Sommerhitze allein zurücklässt?
Von solch einer Katastrophe erzählt Michael Kumpfmüller
jetzt in seinem zweiten
Roman nach „Hampels Fluchten“ (2000). Es ist die
Geschichte der jungen, alleinerziehenden Mutter Conny,
die ihre zwei kleinen Söhne im Hochsommer im
Kinderzimmer einsperrt und für mehr als eine Woche aus
der Wohnung verschwindet. Alles, was die Kinder zu
trinken haben, sind ein paar Tetrapacks.
Kumpfmüller
thematisiert ohne Anklagen ein brisantes Tabu der
Gesellschaft. Er versucht zu erklären, warum eine
Mutter zu dieser Tat fähig ist. Conny treibt sich zwar
tagelang in der Nähe der Wohnung herum, kehrt aber nie
zu ihr zurück. Sie ahnt auch, dass sie einen Fehler
macht und versucht dennoch nicht, ihren Kindern zu
helfen. Kumpfmüller beschreibt diesen inneren Kampf
der Mutter so, dass man ihre Handlungen nachvollziehen,
wenn auch nicht verstehen kann. Dennoch macht er es sich
bei der Erklärung
dieses Verhaltens etwas zu leicht: Conny ist arm und
viel zu jung, um Mutter zweier quengeliger Kinder zu
sein. Außerdem wurde sie als Kind von ihrem Vater
sexuell misshandelt. Ihr Handeln wirkt daher fast wie
eine logische Konsequenz der eigenen Erlebnisse.
Interessanter
wäre hier sicherlich eine Mutter gewesen, deren Gründe
für das Verlassen und Töten ihrer Kinder
mehrschichtiger und weniger in ihrer gesellschaftlichen
Herkunft zu finden sind. Dennoch fesselt Kumpfmüller
nicht nur durch seinen Tabubruch. Seine Sprache ist
wunderbar präzise, seine Erzählweise passend metaphorisch:
Selten wird explizit von „Conny“ gesprochen. Meist
ist es einfach „eine Frau“, die da einen Sinn im
Geschehenen sucht. Nicht nur der Leser beobachtet Conny,
auch sie selbst steht förmlich neben sich und findet
nicht zu sich und ihren Söhnen zurück. Sie ist ständig
zwischen ihren Gefühlen für ihre Kinder hin- und
hergerissen. Dabei ist Conny jedoch nicht nur als Mutter
überfordert, auch in ihrer Rolle als junge Frau und
Tochter ist sie beängstigend unsicher. Ihre Geschichte
geht damit in vielfacher Hinsicht unter die Haut und
wirkt trotz der Schwächen im Erklärungsansatz auf
erschreckende Weise authentisch.
Von
Aliki Nassoufis
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