Es gibt wohl keinen
Abschnitt der Vita Thomas Manns, der nicht als Gegenstand
ausgiebiger biographischer und
literaturwissenschaftlicher Forschungen herhalten musste. So
ist es vielleicht zu erklären, dass sich der Schriftsteller
und Publizist Michael Maar ausgerechnet einem Lebensabschnitt
Thomas Mann zuwendet, der weder durch Tagebuchaufzeichnungen
noch durch Augenzeugen belegt werden kann. Gemeint sind die
Tage und Wochen zwischen November 1896 und Frühjahr 1897,
während dieser Thomas Mann in Italien weilte. Welches
Ereignis aus dieser Zeit lies ihn nach seiner Flucht in die
Schweiz im Jahr 1933 derart in Panik geraten, dass er sogar um
sein Leben fürchtete?
Michael Maar unternimmt in seinem Buch "Das Blaubartzimmer. Thomas Mann
und die Schuld" den Versuch, auf der Grundlage intensiven
Quellenstudiums dessen literarischen Werkes und umfangreichen
Tagebuchmaterials, hinter dieses Geheimnis zu kommen.
Welch brisantes Material lagerte in dem verschlossenen
Lederkoffer, den Thomas Mann bei seiner Flucht vor den Nazis
in München zurücklassen musste? Die Vermutung liegt nahe,
dass es Thomas Manns latente Homosexualität gewesen sei, um
deren öffentliche Entdeckung er fürchtete. Doch die
empfundene Schuld scheint weitaus tragischer zu sein, denn des
öfteren spricht T.M., wenn auch indirekt in seinen Werken,
von einer "Blutzeugenschaft". Wie Maar nachweist,
ist das Mann'sche Oeuvre durchzogen von den Hauptthemen
"Wollust und heiße Schuld", doch liefert seine
tiefgehende Textanalyse wenig aufschlussreiches Material.
Im Hinblick auf diese Tatsache bewegt sich Michael Maars
Studie ebenso im trüben Wasser der Mutmaßungen, ohne das
große Lebensgeheimnis Thomas Manns zu lüften, wie die
anderer Biographen. Es ist auch gut so, möchte man
meinen.
Das Reizvolle und Neue an vorliegendem Buch besteht jedoch in
seiner detaillierten philologischen Analyse des literarischen
Werkes Thomas Manns im Hinblick auf die künstlerische
Verarbeitung einer lebenslang empfundenen Schuld, beginnend
mit der Erzählung "Tobias Mindernickel" bis hin zum
großen Lebenswerk "Doktor Faustus". Maar versteht
es als glänzender Stilist, den Leser mit seiner Argumentation
gefangen zu nehmen, ihn hineinzuziehen in eine verborgene
Welt, doch den Schleier des Geheimnisses nicht ganz zu
lüften. Nicht Resignation ob mangelnder Aufklärung breitet
sich beim Lesen aus, sondern die Genugtuung über den Gewinn
neuer Lesarten des genialen Werkes Thomas Manns. ©Torsten
Seewitz, 11.06.2001 |