Manche Menschen züchten Rosen, andere wiederum bauen
Modellflugzeuge, wieder andere starren stundenlang gebannt auf den
Computermonitor, um die freie Zeit des Tages, wie sie
meinen,
möglichst sinnvoll zu verbringen. Es gibt aber auch Zeitgenossen, die
versuchen Hühnern das Fliegen beizubringen. Als wäre dieser Umstand
nicht schon komisch genug, bemühen sich diese Mitmenschen auch noch, sich
für ihre Leistungen auf internationalen Hühnerkongressen prämieren zu
lassen.
Absurd mag mancher Leser meinen, doch meint es Paola Mastrocola ernst mit
ihrem bei C. H. Beck erschienenen Debütroman "Das fliegende
Huhn". Na ja, so ganz ernst nun doch wieder nicht. Eigentlich
karikiert sie ununterbrochen die Verheißungen der modernen Welt, in der
die Sehnsucht nach menschlicher Wärme und Geborgenheit der Sehnsucht des
Computerzeitalters nach weltweiter Kommunikation gewichen ist.
Als wäre das Leben als Lehrerin in der italienischen Provinz nicht schon
frustrierend genug, steht Carla mit ihrer Sicht auf die auf die Welt so
ziemlich allein da.
Zuhause sitzt ihr Ehemann Mario stundenlang vor dem Computer und versucht
diesem verzweifelt die letzten Rätsel seines Betriebssystems zu
entreißen. Die Kinder gehen mittlerweile ihre eigenen Wege. Was liegt da
näher, als dass sich Carla nach einem anstrengenden und frustrierenden
Schultag ihren Hühnern zuwendet. Wenigstens die hören ihr zu, blinzeln
sie vertraut mit ihrem linken Auge an und warten begierig auf ihr Futter.
Eines nachts erwacht Carla aus einem Traum und ihr Entschluss steht fest:
"Ich will etwas, ich lebe nicht nur so dahin. [...] Es muss mir
gelingen, einem Huhn das Fliegen beizubringen."
Fortan vergeht kein Tag, ohne dass Carla nicht eine abenteuerliche
Konstruktion entwirft, die ihre Hühnern zum Fliegen animieren soll.
Dass dieses Ansinnen Carlas nicht unbedingt auf die Akzeptanz ihrer
Mitmenschen stößt, liegt nur allzu nahe. Vor allem die Eltern ihrer
Schüler und ihre Kollegen betrachten ihren Einsatz für die Hühner mit
Argwohn. Doch Carla lässt sich nicht beirren. Bei all dem Wahnsinn auf
der Welt zählt ihr Ansinnen wohl zu den kleineren Übeln.
Mastrocolas Roman zu lesen, ist eine Wohltat. Neben der ironischen
Schilderung des Schulalltags in der italienischen Provinz, steckt ihr
Buch voller Lebensweisheiten und so ganz nebenbei kann sich der Leser auch
ein wenig in Literaturgeschichte bilden. ©Torsten Seewitz, 31.10.2001 |