Es
hat über drei Jahrzehnte gedauert, bis die 1916
geborene Lenka Reinerová nochmals die Kraft aufbrachte,
um ihre Erinnerungen an die verhängnisvollen Jahre
ihrer Inhaftierung in den 1950er Jahren schreibend
aufzuarbeiten. Bereits 1969 erschien der Vorläufer des
nun vorliegenden Buches mit dem poetischem Titel
"Alle Farben der Sonne und der Nacht" auf
Tschechisch. Jedoch verschwand dieses Werk wenige Wochen
nach Veröffentlichung wieder aus den Regalen der
Buchhandlungen. Es verschwand wie die Hoffnungen auf
einen reformbereiten
Sozialismus nach der Zerschlagung des
"Prager Frühlings".
Reinerová, die als überzeugte Sozialistin 1935 bei der
"Arbeiter-Illustrierten-Zeitung"als
Redakteurin und Übersetzerin arbeitete und dort mit so
namhaften Autoren wie Egon Erwin Kisch, Anna Seghers
und Stefan Heym zusammentraf, floh 1939 über
Bukarest ins Exil nach Paris. Die erhoffte Sicherheit
war trügerisch, denn sie wurde verhaftet und zu sechs
Monaten Einzelhaft im Pariser Frauengefängnis La Petite
Roquette verurteilt. Die anschließende Internierung im
Frauenlager Rieucros und später in Südfrankreich 1941
nutzte sie letztendlich zur Flucht nach Casablanca. Von
dort brachte sie ein Schiff nach Mexiko, eines der
wenigen Länder, die großzügig Emigranten Schutz gewährten.
Hier machte sie Bekanntschaft mit deutschen
Intellektuellen wie Bodo Uhse, Walter Janka und wiederum
Anna Seghers.
Mit ihrer Rückkehr nach Prag im Jahre 1948 verknüpften
sich viele Hoffnungen auf einen sozial gerechten
Sozialismus, die jedoch mit den stalinistischen Säuberungsaktionen
zu Beginn der 1950er Jahre bitter enttäuscht wurden.
Auch Lenka Reinerová gerät als Jüdin und Emigrantin
aus dem Westen in die Fänge der Justiz und wird 1952
verhaftet.
An dieser Stelle setzten ihre Erinnerungen "Alle
Farben der Sonne und der Nacht" ein, in denen sie
von der Zeit ihrer Haft erzählt. Es waren Monate, denen
sie entwürdigenden Verhören ausgesetzt war in denen
sie vehement des Verrats an der Sache des Sozialismus
beschuldigt wurde. Sie, die glühende Sozialistin,
sollte gegen die neue Gesellschaftsform gearbeitet haben
- einfach paradox. Doch dies sahen die selbstgerechten
Ermittler nicht so und versuchten ihr Opfer mit
Dauerverhören und weiteren inhumanen Methoden zu einem
Geständnis zu zwingen. Einzig die Erinnerungen an ihre
Vergangenheit, an ihren Mann und ihre Tochter bewahren
Lenka Reinerová davor, den Verstand zu verlieren. Anfänglich
in Einzelhaft, später dann zusammen mit einer anderen
Inhaftierten boten die quälend langen Stunden des Tages
genug Raum, den eigenen Mikrokosmos gelebten Lebens
aufzufächern, um ihn vor dem inneren Auge zu
betrachten. In der Erinnerung erscheint dann vieles hell
wie vom gleißenden Licht der Sonne angestrahlt, die
dunklen Kapitel der eigenen Biographie
hingegen versinken im Dunkel der Nacht.
Immer wieder stellt sich Lenka Reinerová die Frage,
worin ihre Schuld bestand. War es, weil sie Jüdin war?
Hatte sie an irgendeiner Stelle etwas Falsches gesagt?
Die Ermittler warfen ihr jedenfalls vor, an
antikommunistischen Umtrieben beteiligt gewesen zu sein.
Nichts von deren Vorwürfen entsprach der Wahrheit, doch
wie sollte sie sich gegen eine Übermacht aus
politischen Phrasen und falschen Anschuldigungen wehren?
Einzig wohl, in dem sie die Wahrheit erzählte, die
Geschichte ihres bis dahin gelebten Lebens, das einer
standhaften Sozialistin. Doch dergleichen wollten die
sogenannten Ermittler nicht hören.
"Von einem Feind erwartet man nichts anderes, und
es ist irgendwie in Ordnung, wenn er gegen einen ist.
Wenn dass aber die sogenannten eigenen Leute sind, dann
ist man fassungslos." bemerkt Lenka Reinerová in
einem Interview mit dem "mdr" im Mai diesen
Jahres.
In ihrem Buch versteht es die Autorin meisterhaft genau
dieses ambivalente Gefühl ohne falsches Pathos
wiederzugeben. Sie erzählt mir klaren Worten, die
jedoch eine ungemein poetische Anziehungskraft besitzen.
Die Wahrhaftigkeit des Erinnerten verschafft dem Text
eine Nähe, die einem beim Lesen die Beengtheit und
Qualen der Haft förmlich spüren lässt.
In Zeiten, in denen eine unkritische Betrachtung der
sozialistischen Gesellschaftsordnung wieder Einzug hält,
setzt Lenka Reinerovás Buch genau jenen Akzent, der zur
Relativierung notwendig ist. Nämlich nicht zu
vergessen, wie viele Opfern jener falsch verstandene
Staatssozialismus auf dem Gewissen hat. Torsten Seewitz,
02.07.2003
|